Auch die Klage gegen die flämische Pflegeversicherung war wieder einmal von den Frankophonen eingereicht worden. Doch gibt es in dieser Angelegenheit eigentlich nur Verlierer ...
Flandern kann sich im Augenblick tatsächlich verfolgt fühlen. In immer kürzeren Abständen bekommt der Norden des Landes von außenstehenden Schiedsrichtern die Gelbe Karte gezeigt. Die UNO kritisiert mit scharfen Worten den flämischen "Wooncode". Die EU-Kommission prüft einen Beschluss der Gemeindeverantwortlichen von Zaventem, wonach der Käufer eines Grundstücks unbedingt des Niederländischen mächtig sein, oder zumindest einen Sprachkurs belegen muss. Der Europarat will in Kürze eine Untersuchungskommission in den Brüsseler Rand schicken, um die Nicht-Ernennung dreier Bürgermeister durch die flämischen Behörden zu untersuchen.
Und nun hat der Europäische Gerichtshof auch noch ein Urteil gefällt, wonach die flämische Pflegeversicherung gegen Europäisches Recht verstößt.
Der Vorwurf ist im Wesentlichen immer derselbe: Diskriminierung. Es ist nicht gerade rühmlich für eine Demokratie, wenn man ihr nachweist, dass sie gegen ein Menschenrecht verstößt, das Recht auf Chancengleichheit nämlich. Im Lichte dieser jüngsten Urteile, Schiedssprüche und Ermittlungen gibt Flandern denn auch nicht gerade die beste Figur ab. Und damit bringe Flandern auch Belgien in Misskredit, toben die Frankophonen.
Flandern plädiert dagegen auf "unschuldig" und macht die Frankophonen selbst für die Negativwerbung verantwortlich. Die Frankophonen missbrauchten internationale Einrichtungen, um Flandern an den Pranger zu stellen. Und leider spielten die EU, die UNO oder der Europarat dieses Spielchen auch noch mit. Und wenn die Entscheidungen oder Urteile zu Ungunsten Flanderns ausfallen, dann nur, weil die Richter und Schiedsrichter Belgien anscheinend nicht verstehen.
Das ist zu einfach! Man kann doch nicht allen Ernstes behaupten, dass die Frankophonen Institutionen wie der EU, der UNO oder dem Europarat nur Sand in die Augen streuen müssen, damit diese Urteile gegen Flandern fällen. Frei nach dem Motto: Nicht Flandern macht Fehler, sondern der Rest der Welt. Eine solche Haltung ist - mit Verlaub - ein Fall für den Psychiater.
Die Flamen müssen einsehen, dass sie sich von ihrem sakrosankten Territorialprinzip verabschieden müssen. Wir leben in der EU, einem freien Markt, einem freien Arbeitsmarkt, der Freizügigkeit und Mobilität garantiert. Kurz zusammengefasst: Für Flandern ist nur wichtig, wo man wohnt - für die EU hingegen zählt nur, wo man arbeitet.
Im Fall der flämischen Pflegeversicherung ist eins offenkundig: Flandern versucht auf Biegen und Brechen, die Wallonie draußen zu halten, die Wallonen sowieso. Bislang war es so, dass ein Franzose, Deutscher oder Italiener, der in Flandern arbeitet, aber in der Wallonie wohnt, kein Anrecht auf die flämische Pflegeversicherung hat. Würde er jetzt in Flandern oder sogar im EU-Ausland leben: Kein Problem! Wer in den Genuss der flämischen Pflegeversicherung kommen wollte, der durfte also überall in der EU wohnen, nur nicht in der Wallonie. Das soll man dann mal besagtem Franzosen, Deutschen oder Italiener erklären.
Der Europäische Gerichtshof sah das denn auch als eine Diskriminierung an. Demnach darf der EU-Ausländer jetzt auch in der Wallonie leben, um Zugang zur flämischen Pflegeversicherung zu bekommen. Immerhin! Doch wollte sich der Europäische Gerichtshof nicht in interne belgo-belgische Angelegenheiten einmischen. Das heißt: Was für den EU-Bürger gilt, gilt in den meisten Fällen nicht für den Belgier, wenn er in der Wallonischen Region lebt. Der Lütticher oder Sankt Vither kann - von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen - so lange in Flandern arbeiten, wie er will: in den Genuss der flämischen Pflegeversicherung kommt er erstmal nicht.
Und daran ändert also auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes nichts. Die Wallonen wären denn auch gut beraten, das Urteil nicht als Sieg zu feiern.
Die wahre Schlacht um die flämische Pflegeversicherung steht aber eigentlich erst noch bevor. Denn jetzt muss der Belgische Verfassungshof entscheiden, ob die flämische Pflegeversicherung mit der Verfassung zu vereinbaren ist. Hier könnten die Frankophonen dann doch noch das erreichen, was sie wirklich wollen: Sie wollen die flämische Pflegeversicherung eigentlich nur kippen. Für die Frankophonen bauen die Flamen hier nämlich eine Parallelstruktur zur Sozialen Sicherheit auf. Ziel der Frankophonen ist denn auch eine föderale Pflegeversicherung.
"Das könnte Euch so passen!", antwortet da so mancher aus dem Norden des Landes. Eine föderale Pflegeversicherung, wozu führe das? Zu einem weiteren Geldtransfer. Flandern buttere schon genug in den Süden des Landes, irgendwann müsse auch mal Schluss sein, glauben nicht wenige in Flandern.
Auch der flämische Standpunkt ist also - vom Norden des Landes aus betrachtet - nachvollziehbar. Sicher: Solidarität, und damit eine föderale Soziale Sicherheit, gehört zu den Grundfesten des belgischen Zusammenlebens. Daran zu rütteln, wäre definitiv der Anfang vom Ende dieses Landes. Doch müssen die Frankophonen erkennen, dass die Geduld der flämischen Brüder und Schwestern langsam aber sicher am Ende ist. Und wenn die Flamen den Eindruck haben, dass die Wallonen ihnen die Butter auf dem Brot nicht gönnen, dann führt das nur zu einer weiteren Radikalisierung.
Nur ein weiteres Kapitel im flämisch-wallonischen Sprachenstreit? Nicht ganz! Diesmal sind nämlich auch die Deutschsprachigen direkt betroffen, wie sogar der Europäische Gerichtshof ausdrücklich anmerkt. Weil Flandern im Alleingang eine Pflegeversicherung auf die Beine gestellt hat, sitzt die DG nämlich bis auf weiteres im Boot derer, die keine haben. Die Deutschsprachige Gemeinschaft kann für ihre Bürger keine eigene Pflegeversicherung organisieren. Das hat rein mathematische Gründe. Kurz gesagt: die Gemeinschaft ist zu klein.
Diesmal ist die DG also nicht Zaungast einer weiteren flämisch-wallonischen Auseinandersetzung, diesmal zählt sie zu den Kollateralschäden. Betroffen ist nicht die DG an sich, vielmehr die Senioren und Pflegebedürftigen zwischen Kelmis und Ouren.