Der Primas der belgischen Katholischen Kirche, Kardinal Godfried Danneels, hatte in seiner Osterpredigt harsche Kritik unter anderem am Umgang der Medien mit dem Thema Tod und Sterbehilfe geübt. Die flämischen Christdemokraten CD&V stellten sich hinter den Kardinal.
Dagegen wollen die flämischen Liberalen jetzt einen neuen Versuch starten, das Euthanasie-Gesetz auszuweiten. Handlungsbedarf mag es da vielleicht geben, doch wäre es jetzt wohl der falsche Zeitpunkt für eine Ethik-Debatte ...
Ni Dieu, ni Maître
Weder Gott, noch Meister. Dieses alte Anarchisten-Ideal fasst das Leben des Hugo Claus wohl ganz gut zusammen. Und auch sein Sterben. Vor anderthalb Jahren wurde bei dem bekannten Schriftsteller und ewigen Kandidaten für den Literaturnobelpreis Alzheimer diagnostiziert. Und für ihn, den Freidenker, seit Jahren Mitglied der Organisation "Sterben in Würde", war von diesem Augenblick an klar, dass er aus dem Leben scheiden wollte, bevor die Krankheit ihn seines Verstands beraubt. Seinen Freunden eröffnete er seine Absicht per E-Mail. Drunter stand: "Ni Dieu, ni Maître". Claus wollte bis zuletzt sein eigener Herr sein.
Am 19. März ist Claus aus dem Leben geschieden, gemäß seinem Wunsch empfing er Sterbehilfe. Einige Kritiker unterstellen ihm nun, dass er, der sich zuweilen auch als Dramatiker und Theaterregisseur betätigte, so weit gegangen ist, sogar noch seinen Tod in Szene zu setzen. Sein Tod: ein politischer Akt.
Das mag bis zu einem gewissen Maß auch stimmen. Hugo Claus hat seinem Gesuch, doch bitte sein Leben zu beenden, tatsächlich eine - sagen wir mal - eigenwillige Argumentation zu Grunde gelegt. Für ihn, einen Mann der Worte, sei es unerträglich, seine Worte aufgrund seiner Krankheit zu verlieren. Das erfülle ihn mit unerträglichem psychischem Leid. Und damit waren die zwei Grundbedingungen erfüllt, die Euthanasie erlauben: eine unheilbare Krankheit, gepaart mit unerträglichem physischem oder psychischem Leid.
Diese Auslegung des Begriffs "Leid" mag elitär anmuten, sie kann auch dem einen oder anderen Kritiker zu weit gehen. Und vielleicht wollte der Mann, für den es weder Gott noch Meister gab, tatsächlich seiner Heimat und deren verkrusteter Gesellschaft noch ein letztes Mal vors Schienbein treten.
Gemäß der Maxime "Das Private ist politisch" mag Hugo Claus also Täter sein, zugleich ist er aber auch - aus seiner Sicht - ein Opfer. Ihm, der Sterbehilfe wollte, hat das Euthanasie-Gesetz in seiner derzeitigen Form nämlich keine andere Wahl gelassen. Das Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass derjenige, der um Sterbehilfe bittet, bei klarem Verstand sein muss.
Das heißt im Umkehrschluss, dass ein Patient, bei dem die Alzheimer-Krankheit oder auch andere Formen der Demenz weiter fortgeschritten sind, nicht mehr um Euthanasie ersuchen kann. Und eine vorab verfasste Verfügung greift nur, wenn ein Patient, etwa nach einem Unfall, im Koma liegt. Das beinhaltet nicht den Zustand der Demenz, den Zeitpunkt, wo das Bewusstsein in die hinterste Ecke des Gehirns verbannt wurde. Hier greift keine vorab verfasste Verfügung zur Euthanasie.
Das heißt also: Will ein Mensch, bei dem Alzheimer diagnostiziert wurde, Sterbehilfe empfangen, dann geht das nur, wenn die Krankheit noch nicht allzu weit fortgeschritten ist, wenn er also noch einigermaßen normal leben kann. Ein tragisches Paradox.
Und dies ist auch ein Grund, wenn auch nicht der einzige, warum einige Parteien das Gesetz ausweiten wollen. Eben auch auf Demenz-Kranke.
Der Fall Hugo Claus zeigt also, dass es da zumindest Gesprächsbedarf gibt. Doch wenn man eine Diskussion will, dann muss es eine offene sein. Denn auch die Reaktion der Katholischen Kirche ist - aus ihrer Sicht - nachvollziehbar. Die Kirche ist gegen Sterbehilfe, und sie konnte tatsächlich zuweilen den Eindruck bekommen, dass Euthanasie mit dem Tod von Hugo Claus verherrlicht worden ist. Dabei werde vergessen, dass es auch Alternativen gebe, meint die Kirche. Stichwort: Palliativpflege.
Für die Katholische Kirche ist Euthanasie nach wie vor tabu. Die flämischen Christdemokraten CD&V verlangen zwar keinen Rückzieher, wollen aber auch keine neue Diskussion. Eins müssen die Befürworter einer neuen Euthanasie-Debatte denn auch mit einkalkulieren: Der politische Kontext ist nicht mehr derselbe wie vor 6 Jahren, als die aktive Sterbehilfe unter der Regenbogenregierung legalisiert wurde. Jetzt sind wieder die christlichen Parteien Teil der Regierung. Und wer eine Ausweitung des Euthanasie-Gesetzes zum jetzigen Zeitpunkt erreichen will, der öffnet in doppeltem Sinne die Büchse der Pandora.
Zum einen könnte sich eine neue Debatte - aus Sicht der Befürworter - als Rohrkrepierer erweisen. Unter dem Druck der christlichen Parteien könnte das Gesetz eher abgeschwächt als ausgeweitet werden. Hinzu kommt aber der politische Kontext insgesamt: Das Land hat gerade eine neun Monate lange Staatskrise hinter sich. Und die neue 5er-Koalition steht auf sandigem Boden. Wenn vor allem die OpenVLD jetzt mit aller Macht eine Euthanasie-Debatte lostreten will, dann darf man sich denn auch die Frage stellen, welche Hintergedanken sie da wirklich verfolgt. Geht es um die Sache, oder geht es darum - auf Hochdeutsch gesagt - Stunk zu machen, um die Mehrheit gleich von Anfang an zu destabilisieren und die CD&V in die Enge zu treiben?
Offene Debatten über ethische Fragen sind nötig und in einer demokratischen Gesellschaft auch prinzipiell möglich. Nur sollte man sich die Frage stellen, ob jetzt der Zeitpunkt der richtige ist. Über sensible Themen wie eben auch die Euthanasie wirklich konstruktiv diskutieren, und mitunter eben auch streiten, kann man nämlich nur mit klarem Kopf. Und ob der schon so klar ist, nach einer neunmonatigen Krise, geprägt von Massenschlägereien und Misstrauen, das darf man wohl bezweifeln.
In jedem Fall wäre es eine Schande, wenn ein Thema wie die Euthanasie zum Gegenstand politischer Strategiespielchen würde.