In den Meldungen war von dem so genannten Wohnkodex die Rede, in dem es heißt, Bewerber für eine Sozialwohnung müssten sich bemühen, die niederländische Sprache zu erlernen.
Zunächst einmal: Weder Belgien noch Flandern stehen am Pranger. Der Bericht enthält Empfehlungen, mehr nicht. Der Bericht ist auch nichts Außergewöhnliches: Reihum müssen alle zwei Jahre Länder der UNO einen Lagebericht vorlegen, es sind also keine UN-Inspektoren, die den Bericht schreiben, sondern Einrichtungen aus den Ländern selbst.
In Belgien ist es das Zentrum für Chancengleichheit, in Zusammenarbeit mit den Behördensowie mit nicht-regierungsgebundenen Einrichtungen. In diesem Jahr waren es sieben Berichte zu sieben Ländern in der EU, Belgien und Italien.
Belgischerseits ging es auch nicht ausschließlich um den flämischen Wohnkodex, sondern auch um andere Problematiken, wie die seit langem bekannte Internierung von einreisenden oder abgewiesenen Asylbewerbern. Doch dass der Kodex im Mittelpunkt steht und nicht die 30 anderen Empfehlungen hängt damit zusammen, dass die Thematik eng mit inner-belgischen Befindlichkeiten verknüpft ist. Aber nicht nur, prozessierenden doch die flämische Menschenrechtsliga sowie flämische Mietervereinigungen vor dem Verfassungsgericht.
Dieses hat sich noch nicht zur Sache geäußert, sondern bisher lediglich einen Antrag auf eine vorläufige Aufhebung des Kodex abgelehnt. Der flämische Innenminister Marino Keulen sagt also nur die halbe Wahrheit, wenn er sagt, sein Kodex habe einer Prüfung durch das Verfassungsgericht standgehalten.
Dabei kann man Marino Keulen durchaus zubilligen, dass er mit seinem Kodex integrative Absichten verfolgt, ist die Sprache doch das vorrangige Kommunikationsmittel. Man tut ihm aber auch kein Unrecht, wenn man annimmt, dass er damit auch darauf abzielt, der "verfransing" - frei übersetzt: der französischsprachigen Überfremdung -entgegen zu wirken, und sei es nur als willkommener Nebeneffekt.
Und man liegt auch nicht falsch, wenn die frankophone Sensibilität für das Thema auch damit zu tun hat, dass vom Niederländisch-Lernen-Gebot nicht nur Einwanderer, sondern auch frankophone belgische Bewerber für eine Sozialwohnung im Brüsseler Rand betroffen sind.
Aber das greift zu kurz: Die frankophone Befindlichkeit fühlt bei dem Kodex die Weiterführung einer Politik, die mit den Peeters-Rundschreiben (benannt nach dem früheren flämischen Innenminister) begonnen hat, der verlangte, für jedes amtliche Dokument jedes Mal einen neuen Antrag stellen zu müssen, auch dort, wo es Spracherleichterungen gibt.
Unvereinbar sind die jeweiligen Standpunkte. Die Einen pochen auf die sprachliche Einheit des Territoriums, die anderen, sozusagen in ihrer Eigenschaft als Bürger ihres Landes, überall im Lande ihre Sprache verwenden zu können. Ein anderes Beispiel ist die Polemik um Gemeinderatssitzungen: Aus dem Blickwinkel der flämischen Politik sind sie Bestandteil des Verwaltungsrechtes, und unterliegen somit dem Einheitsgebot in punkto Sprache, in der frankophonen Sicht dagegen sind die eigentliche Erörterung - der Meinungsaustausch also - Ausdruck demokratischer Meinungsbildung und somit ein Grundrecht, bis dann zum Zeitpunkt der Protokollierung des Beschlusses der Verwaltungsakt einsetzt, der in der Amtssprache zu erfolgen hat.
So ist es zu erwarten, dass diese inner-belgische Verkrampfung auch später noch unter dem Vergrößerungsglas der UNO Schlagzeilen machen wird, in dieser oder in anderer Form, es sei denn, die Verkrampfung löse sich. Denn was in New York als Ausdruck einer aggressiven Einstellung bewertet wird, ist eigentlich ein Zeichen defensiver Sprachpolitik. Schade nur, dass beim Führen solcher Nachhutgefechte die Kollateralschäden außer Acht gelassen werden, zumal es nicht unanständig ist, zu fragen, ob diese Nachhutgefechte nicht kontraproduktiv sind.
Der flämische Landesteil, seine Menschen, seine Künstler und nicht zuletzt seine Wirtschaft haben wahrlich genug Mittel, der niederländischen Sprache die gewünschte Anziehungskraft zu geben, mit Charme und Können, nicht mit ministeriellen Rundschreiben, denn zur Liebe kann man niemanden zwingen, eine Binsenweisheit, die die offizielle flämische Politik all zu oft vergisst.
Ein Altrocker wie Arno tut im französischsprachigen Belgien mehr für die Anziehungskraft der flämischen Sprache und weckt mehr Neugierde für diese, als jede Zwangsmaßnahme je erreichen könnte, ähnlich der plötzlichen Begeisterung junger Franzosen für die deutsche Sprache, seit sie wissen, dass Tokio Hotel auf Tournee ist.
Auch Hugo Claus oder Anne Theresa De Keersmaeker wollten und brauchten keinen auf anderen Gebieten so verfemten Protektionismus, und Wim De Craene auch nicht, als er sein Lebensgefühl in seiner Muttersprache besang.
Aber als Deutschsprachiger hat man gut Reden, angesichts der wieder erstarkten internationalen Ausstrahlung der deutschen Sprache und angesichts der Hilfestellung, die die Ostbelgier in den 1950er und 60er Jahren, als die Sprache bedroht war, von Peter Frankenfeld, Hans-Joachim Kuhlenkampf, Karl-Heinz Köpke und wie sie alle hießen erhielten, die über den damals noch ovalen Bildschirm zu den ostbelgischen Zaungästen ins Wohnzimmer kamen.