Wer aber geglaubt hätte, dass damit der Weg frei wäre für eine definitive Regierung unter der Ägide von Yves Leterme, der sah sich getäuscht. Im Gegenteil: Es bahnt sich eine Krise an, die den politischen Schleuderkurs der letzten 8 Monate noch einmal in den Schatten stellen könnte.
Sie sonnen sich in den Scheinwerfern der Fernsehstationen. Sie genießen es, wenn das ganze Land mal wieder an ihren Lippen hängt. Süffisant, mit gespielter Gelassenheit fegen sie ein ums andere Mal Abkommen vom Tisch, die gerade noch als Hoffnungsschimmer galten. Sie machen mit Genuss den Spielverderber, und kennen dabei weder Freund noch Feind.
Die Rede ist von der N-VA. Für eine totgesagte Partei erfreut sich die N-VA im Augenblick augenscheinlich bester Gesundheit. Unter Normalumständen wäre die N-VA wohl untergegangen, die 5-Prozenthürde hätte ihr wahrscheinlich das Genick gebrochen.
Doch dann kam "Zauberlehrling" Yves Leterme. Er hatte eine win-win-Situation ausgemacht. Er verheiratete seine CD&V mit der N-VA. Sein Kalkül: Die N-VA sichert ihr Überleben, aber wichtiger noch, die N-VA-Stimmen stärken ihm den Rücken, wobei die N-VA das flämische Profil des Kartells schärft und den rechten Rand des demokratischen politischen Spektrums abdeckt.
Die Rechnung ging auf: Die CD&V gewann die beiden letzten Wahlen und wurde wieder zur stärksten politischen Kraft in Flandern.
Nur hatte der eigene Kirchturm Leterme da wohl irgendwie die Sicht versperrt. Es ist eine Sache, in Flandern die Wahl zu gewinnen, wenn man sich damit aber zugleich die föderalen Perspektiven verbaut, dann ist das ganze nur ein Pyrrhus-Sieg. Im Klartext: Der CD&V müsste doch längst aufgegangen sein, dass sie von der NV-A auf föderaler Ebene in ein zu flämisches Korsett gezwängt wird.
Die CD&V hatte dem - tatsächlich recht bescheidenen - ersten Paket im Hinblick auf eine neue Staatsreform zugestimmt. Wohl nicht, weil ihr das Paket so gut gefällt, sondern weil das etwas mit Realpolitik zu tun hat. Ein kleines Abkommen ist immer noch besser als gar keines. Dieser Kompromiss stellt ein gewisses Vertrauensverhältnis wieder her, und ohne gegenseitiges Vertrauen ist Politik nicht möglich, erst recht nicht dann, wenn man einen Staat ummodeln will, in dem die Interessen der einzelnen Protagonisten gegensätzlicher nicht sein könnten.
Und was macht die N-VA? Sie will sich nicht mit Zwischenetappen begnügen, lehnt das Paket - natürlich - ab und lässt damit den Kartellpartner ins offene Messer laufen. Während sich nämlich die N-VA zum selbstlosen Schutzpatron der flämischen Interessen aufschwingt, muss sich die CD&V jetzt im Umkehrschluss anhören, dass sie die flämischen Interessen notfalls zu opfern bereit ist, dass sie zwar einen Grand Cru versprochen hat, sich nun aber mit Traubensaft zufrieden gibt.
Dabei müssten auch die flämischen Christdemokraten doch eines längst wissen: Keine Staatsreform wird der N-VA jemals genügen. Doch, eine! Nämlich die, die die Spaltung des Landes und die Schaffung einer autonomen Republik Flandern vorsieht. Die N-VA wird sich immer wie eine Oppositionspartei verhalten, Opposition nicht im klassischen Sinne gegen die Mehrheit, sondern gegen alles, was nicht mit Flandern zu tun hat, und damit auch gegen alles Föderale.
Fazit: Wenn Yves Leterme tatsächlich "Föderaler" Premierminister werden will, dann wird das nie funktionieren, solange er eine Partei im Schlepptau hat, die schon das Wort "föderal" nicht ausstehen kann.
Genau das ist das Dilemma der CD&V: Sie muss langsam einsehen, dass eine Regierungsbeteiligung mit der N-VA schwierig bis unmöglich ist. Die Ehe mit der N-VA aufzulösen, wäre aber politischer Selbstmord. Dass damit die Fraktion von 30 auf 24 Sitze in der Kammer schrumpfen würde, ist da noch das kleinere Problem.
Ein Bruch mit der N-VA würde nämlich auch bedeuten, dass die CD&V ihr flämisches Profil aufgibt: Verbannt sie eine Partei, die ausdrücklich und ausschließlich die vermeintlichen Interessen Flanderns vertritt, dann kann die CD&V nicht mehr allen Ernstes glaubwürdig die flämische Karte ausspielen.
"Die Geister die ich rief, werd' ich nun nicht mehr los", lässt Goethe seinen Zauberlehrling sagen, als dem schon das Wasser bis zum Hals steht. Zauberlehrling Leterme ist in genau dieser Situation, spätestens nachdem seine Partei, die CD&V, im flämischen Parlament großspurig erklärte, sie werde die Regierung Leterme stürzen, falls die Staatsreform nicht tiefgreifend genug ausfällt.
Es kommt wohl nicht so häufig vor, dass eine Partei ihren eigenen Premier stürzen will, noch dazu wenn dieser noch nicht einmal im Amt ist. Dass die CD&V-Kettenhunde jetzt ein Abkommen abschießen, dass die eigene Partei mit ausgehandelt hat, irritiert nicht nur die Frankophonen. Es ist offenkundig, dass die CD&V das nur getan hat, um die N-VA zu besänftigen und wieder ins Boot zu hieven. Sie hat sich damit selbst ins Abseits manövriert, die große CD&V, sie ist damit zu einer Marionette der N-VA verkommen.
Die N-VA hindert die CD&V letztlich daran, das schizophrene Verhalten an den Tag zu legen, das in Belgien mitunter nötig ist. Die flämische Bühne ist nun einmal nicht die föderale: In Flandern kann man versucht sein, auch unter Druck des rechtsextremen Vlaams Belang unentwegt am Forderungskarussell zu drehen. Hier ist die Situation quasi inzestuös, Laborbedingungen ohne Gegenwind. Auf föderaler Ebene hingegen muss man immer erstmal reden. Wenn sich das Reden auch auf föderaler Ebene nur noch auf das Fordern beschränkt, dann ist kein Dialog mehr möglich. Und die N-VA kennt eben nur Maximalforderungen, ihr jüngstes Verhalten hat es noch einmal eindrucksvoll bewiesen.
Das Ganze bringt Yves Leterme in eine shakespearesche Lage. Mit oder ohne die N-VA, das ist hier die Frage. Die inneren Spannungen in "seinem Kartell" und die damit einhergehende erneute Radikalisierung drohen jedenfalls das Land in Windeseile wieder in den Juli 2007 zurückzukatapultieren. Und nicht nur das Land, auch Leterme selbst.
Und scheitert Leterme zum dritten Mal, dann droht eine Krise, die alles bisher dagewesene noch in den Schatten stellen wird. Dann ist das Land erstmal unregierbar. Einen "Verhofstadt-Joker" wird es dann nämlich nicht mehr geben, Didier Reynders wittert zwar längst seine Chance; bei allem Taktieren und Austeilen erscheint er derzeit aber auch und vor allem auf frankophoner Seite isoliert.
Das so erfrischende Intermezzo unter dem Staatsmann Guy Verhofstadt, es könnte schneller vergessen sein, als vielen lieb ist.