Inzwischen wurde aber auch Kritik laut am Vorgehen der föderalen Regierung und der zuständigen Behörden. Die Bedrohung sei übertrieben worden, hieß es da. Eine Diskussion darüber ist zwar nötig, derlei Vorwürfe sind aber nicht ungefährlich.
Terrorismus ist Theater. Das sagte ein anerkannter Terrorismusexperte bereits in den 70er Jahren. So beschönigend, wie das auf ersten Blick klingen mag, ist es nicht gemeint.
Tatsächlich haben Terroristen nicht nur Tod und Zerstörung im Sinn, sie setzen auch und vor allem auf die Symbolkraft, auf Langzeitwirkung. Entsprechend werden auch die Ziele ausgewählt. Angst und Schrecken, Schock und Entsetzen: Terroristen leben von der allgemeinen Wahrnehmung ihrer Tat.
Und da verfehlt bereits ein gescheiterter Anschlag nicht vollends sein Ziel. Es zählt nur die Angst, allein die Angst, die geschürt wird. Die Medien spielen hier ungewollt - nämlich indem sie eigentlich nur über die Fakten berichten - die Rolle eines emotionalen Verstärkers. Ein Attentat, von dem es kein Bild gibt, über das nicht berichtet wird, das ist in der kruden Welt der Terroristen noch nicht einmal die halbe Miete.
Terrorismus ist Theater. Seine Bekämpfung aber mitunter auch. Seit dem 11. September 2001 sieht sich etwa die US-Regierung immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, sie missbrauche die Terrorbedrohung als politisches Instrument. Mal zur Ablenkung von innenpolitischen Fehlentwicklungen, mal zur Durchsetzung militärischer Ziele.
Eine Regierung, die gerade eine Krise durchmacht, könnte in der Tat in Versuchung geraten: Durch ein Drehen an der virtuellen Bedrohungsschraube und eine entsprechend beinharte Reaktion kann sie in Zeiten globaler Angst Sympathien gewinnen. Die Botschaft an die Bürger und Wähler: "Wir beschützen euch". Zugleich bereitet man damit den Boden für Anti-Terrorgesetze, die die Bürgerrechte einschränken, für einen Überwachungsstaat.
Terrorbekämpfung als ein zuweilen von der Politik inszeniertes Theaterstück also. Genau aus diesem Holz sei auch die Terrorwarnung, die die Regierung Verhofstadt III kurz vor Weihnachten ausgegeben hat. Das behaupten zumindest sinngemäß einige Kritiker, allen voran der Grüne Josy Dubié, die PS-Politikerin Anne-Marie Lizin und der flämische Hau-drauf-Volkstribun Jean-Marie Dedecker.
Tatsächlich gäbe es da den einen oder anderen Punkt, der die Regierung möglicherweise dazu hätte verleiten können. Nach einem halben Jahr ohne Regierung wäre eine Terrorwarnung wohl ein probates Mittel, um eine Botschaft zu versenden. Nach dem Motto: Das Machtvakuum ist vorüber, jetzt gibt es wieder eine Regierung, die sich kümmert.
Auch ein politisches "Flaggezeigen" wäre denkbar. Es ist ja so, dass sicherheitspolitische Schlüsselressorts wie das Justiz- und auch das Verteidigungsministerium nunmehr politisch gesehen den Besitzer gewechselt haben. Die PS-Mieter Onkelinx und Flahaut sind ausgezogen, ihre Plätze nehmen jetzt CD&V-Leute ein. Die flämischen Christdemokraten stehen für einen stramm rechten Kurs, und es wäre denkbar, dass die Herren Vandeurzen und De Crem ihrer Wählerschaft nun gleich signalisieren wollten, dass Sicherheit ab jetzt groß geschrieben wird, ganz groß.
Der Regierung hier ein rein politisch motiviertes Manöver zu unterstellen, ist dennoch kontraproduktiv, um nicht zu sagen gefährlich.
Brüssel ist wegen der Präsenz von EU und NATO zweifellos auf Augenhöhe mit Metropolen wie London, Paris, Berlin oder New York - was die Strahlkraft, die Symbolträchtigkeit angeht, allemal. Eine perfekte Bühne für ein perverses Terrorschauspiel also.
Vor diesem Hintergrund muss man den Kritikern entgegenhalten, dass die Belgier, trotz der Vielzahl neuralgischer und symbolträchtiger Einrichtungen, mit Terrorwarnungen bislang noch immer sehr dosiert ungegangen sind. Und da die Kompetenz der belgischen Sicherheitsdienste weltweit unbestritten ist, sollte, oder muss man ihnen ganz einfach glauben, wenn sie Anzeichen für Gefahr sehen.
Reagieren sie nicht, dann droht im Ernstfall ein sicherheitspolitischer GAU. Man möchte gar nicht an die Konsequenzen denken, wenn sich gerade in Brüssel nach einem möglichen Attentat herausstellen sollte, dass die Sicherheitsdienste über dahingehende Indizien verfügten.
Das Ganze ist natürlich eine Frage des Vertrauens. Wer - aus welchen Gründen auch immer - Hinweise auf einen Anschlag braucht, der findet sie auch. Auch in diesem Fall kann man sich ja immer auf die Rolle Brüssels in der Welt berufen.
Deshalb gilt auch hier: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Denn wo die Kritiker Recht haben, haben sie Recht: Wachsamkeit ist immer angebracht, wenn es um das prekäre Gleichgewicht zwischen Innerer Sicherheit und der Wahrung der Demokratie und Bürgerrechte geht. Natürlich sollten die befugten Kontrollorgane im Parlament die ganze Sache hinterfragen und ausleuchten. Eine solche Untersuchung wird es geben, und das ist auch gut so.
Politiker, die allerdings schon jetzt - vor jeglicher Untersuchung - die guten Absichten der Regierung anzweifeln, die stören allenfalls die Ermittlungen. Und langfristig besteht die Gefahr, dass die Sicherheitsbehörden - eben um solcher Kritik aus dem Weg zu gehen - in einem ähnlichen Fall zu lange zögern. Und dann wären es vielleicht dieselben Politiker, die der Regierung Unfähigkeit unterstellen.
Innere Sicherheit ist ein zu ernstes Geschäft: Hier ist kein Platz für politische Spielchen, genauso wenig wie für Populismus, Geltungssucht oder Imagepflege. Kein Platz für Theater.