Die EINE Wahrheit gibt es nicht. Und es ist durchaus möglich, dass in einem Streitfall jeder der Protagonisten Recht hat, zumindest wenn man die Angelegenheit aus seiner jeweiligen Sicht betrachtet.
Lontzens Bürgermeister Alfred Lecerf hatte zum Beispiel keine Wahl: auf der Grundlage der Informationen, die ihm von der Polizei vorgelegt worden waren, konnte er nicht anders: er musste das Fest in seiner ursprünglich geplanten Form verbieten. In der Tat: Wenn man ihn vor potentiellen gewaltsamen Auseinandersetzungen warnt, bei denen mitunter sogar Waffen zum Einsatz kommen könnten, dann muss ein Bürgermeister reagieren: erlaubt er nämlich eine solche Veranstaltung trotz derartiger Warnungen, und es kommt dann tatsächlich zu irgendwelchen Zwischenfällen, dann muss er sich unverantwortliche Untätigkeit vorwerfen lassen. Und das absolut zu Recht.
Bei der Polizei verhält sich das im Grunde ähnlich. Die Sicherheitskräfte dürfen sich nicht darauf beschränken, auf Zwischenfälle gleichwelcher Art zu reagieren. Dann kann man nämlich mitunter auf dem falschem Fuß erwischt werden. Wenn es zum Beispiel am Rande eines Fußballspiels einmal zu Randale kommt, dann ist es zu spät, um erst mal Verstärkung anzufordern: die muss vor Ort sein. Klar also, dass man ständig die Gefahrenlage analysieren muss: welche Bedrohung geht von welcher Person oder Personengruppe bzw. von welcher Veranstaltung aus; wie kann man sich darauf einstellen?
Pro-aktives Vorgehen nennt man so etwas und das ist nur legitim, geht es doch um die Sicherheit der Bürger.
Das ist denn auch im Fall der Walhorner Triker-Treffens passiert: man hat die Leute überprüft, die für den Sicherheitsdienst abgestellt waren, und ist dabei eben auf mögliche Querverbindungen gestoßen. Dann fielen Namen wie "Red Devils" und damit verbunden auch "Hells Angels". Und dann wurde offensichtlich eins und eins zusammengezählt. Über die Richtigkeit der Informationen aus dem Verwaltungsbericht der Polizei mag man im einzelnen unterschiedlicher Meinung sein. Fest steht, dass den Hells Angels der Ruf einer skrupellosen kriminellen Vereinigung vorauseilt. Bewaffnete Auseinandersetzungen und Schutzgelderpressung gehören scheinbar zu den Registern der Angels. Dies ist denn auch die Grundlage für den Bericht der Brüsseler Polizei-Sondereinheit Highsider. Die "Red Devils" bezeichnen sich schließlich selbst als "Supporterclub" der "Hells Angels"; beide Club verbänden freundschaftliche Beziehungen. Vielleicht verrichten die "Red Devils" nicht die Drecksarbeit für die Angels; die Devils gelten aber -zu Recht oder zu Unrecht- als Talentschmiede der "Hells Angels".
Insofern entbehrt der Polizei-Bericht bestimmt nicht jeglicher Grundlage. Was fehlt, das ist vielleicht ein Herunterdividieren auf die lokale Ebene. Trifft man nämlich die lokalen "Red Devils", dann hat man nicht den Eindruck, vor Schutzgelderpressern zu stehen. Im Gegenteil: unter der rauhen Schale scheint sich ein weicher Kern zu verbergen. Diese Männer wirken, als stünden sie mit beiden Füßen im Leben; sie gehen ehrenhaften Berufen nach, haben Familie, Kinder. Und diese Männer müssen sich jetzt auf offener Straße hämische Bemerkungen anhören, nach dem Motto: "Und? Auf dem Weg zum Schutzgeldeintreiben?" Diese Männer müssen mitunter um ihre Jobs fürchten. Diese Männer stehen am Pranger.
Sie verstehen nicht, warum ausgerechnet jetzt solche Vorwürfe im Raum stehen. Motorradtreffen hat es auch in der Region immer gegeben, die Eupener "Red Devils" bestehen auch nicht erst seit gestern. Außerdem: bis vor einer Woche hatten wohl die wenigsten schon einmal von den "Red Devils" gehört; kein Beweis, aber zumindest ein starkes Indiz dafür, dass sie auch bislang nicht sonderlich aufgefallen sind.
Und doch dürfen sich die "Red Devils" nicht wundern. Wer einem Club angehört, der einen -sagen wir Mal- "zwielichtigen" Verein offen unterstützt, der muss damit rechnen, in eben diesen Topf geworfen zu werden. Vielleicht tut man damit den Eupener "Red Devils" Unrecht; aber die Tatsache, dass man zumindest hinter ihrer Dach-Organisation eine potentielle Bedrohung sieht, ist irgendwo nachvollziehbar.
Die Frage, warum die "Red Devils" sich aber gerade jetzt sozusagen aus heitrem Himmel zu einer möglichen Gefahr entwickelt haben, bleibt indes unbeantwortet. Aber vielleicht muss das auch so sein. In dieser Sache sind nämlich eigentlich schon jetzt viel zu viele interne Informationen an die Öffentlichkeit gelangt. Es ist nicht gut, wenn jedermann in die internen Lageberichte der Polizei hineinschauen kann; die Eupener Föderale Polizei ist auch aus verständlichen Gründen alles andere als glücklich darüber, dass eine interne Note sozusagen über Umwege fast eins zu eins in der Zeitung abgedruckt worden ist. Damit gab es auch für alle Beteiligten kein Zurück mehr.
Die harmlosen Triker aus Walhorn sitzen derweil auf einem Schuldenberg. Sie wollten ein Volksfest organisieren, den Erlös einem guten Zweck spenden und Spaß haben. Was bleibt ist eine herbe Enttäuschung. Es ist bestimmt kein Trost, aber es sieht so aus, als seien sie Opfer einer Verkettung unglücklicher Umstände geworden. Die Schuld kann man eigentlich niemandem geben: jeder der Beteiligten hat nach bestem Wissen und Gewissen und auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Informationen gehandelt, böse Absichten gleich welcher Art kann man niemandem unterstellen. Wie falsch oder wie richtig die Einschätzung war, die das ganze ausgelöst hat, ist ohnehin nicht zu klären. Die Wahrheit liegt wie so oft wahrscheinlich irgendwo in der Mitte.