In 48 Stunden werden die Würfel gefallen sein. Dann werden wir wissen, wie das neue politische Gesicht Belgiens aussieht, ob es sich stark verändert hat oder nur geringfügig retouchiert wurde.
Ob die einzelnen politischen Formationen stärker oder schwächer werden, das entscheiden die Wähler und sie bestimmen, wer als Abgeordneter oder Senator ins Parlament einzieht.
Der Demokratie ist damit Genüge getan, doch damit endet auch die Macht des Wählers.
Hat er mit seiner Stimme das politische Kräfteverhältnis festgelegt, ist seine Rolle ausgespielt.
Alles weitere liegt dann in der Hand der Parteien, die auf der Basis des Wahlergebnisses eine Mehrheit aushandeln, beziehungsweise eine Koalition bilden, aus deren Reihen die Minister der neuen Regierung hervorgehen werden.
Der Wähler kann also entscheiden, ob die zurzeit regierenden Sozialisten und Liberalen genügend Stimmen bekommen, um ihr Regierungsbündnis fortzusetzen, oder ob er ihnen das Verrauen entzieht.
Wenn die Umfragen der letzten Monate auch nur halbwegs zutreffen, dann bekommt die Regierung Verhofstadt an diesem 10. Juni die Rote Karte gezeigt.
Die größten Verlierer sollen, wenn die Prognosen zutreffen, die skandalgeschädigten Sozialisten in der Wallonie und die Liberalen in Flandern sein. Damit hätte die bisherige Koalition nach 8 Jahren Regieren ausgewirtschaftet.
Es wird also höchstwahrscheinlich ein neues Bündnis gebildet werden müssen, das über eine ausreichende Mehrheit an Wählerstimmen verfügt. Am naheliegendsten sind, auf der Basis der Umfragen, die folgenden drei Möglichkeiten:
Eine Koalition aus Christlich-Sozialen und Sozialisten, eine Koalition aus Christlich-Sozialen und Liberalen, wobei in beiden Fällen die Grünen für eine regierungsfähige Mehrheit als Dritte im Bunde nötig sein könnten, oder aber eine Große Koalition der so genannten traditionellen Parteien, das heißt der Christlich-Sozialen, Sozialisten und Liberalen.
Nur diese letztere hätte voraussichtlich die Zweidrittelmehrheit, die für die von Flandern geforderte Fortsetzung der Staatsreform notwendig ist, der sich die frankophonen Parteien jedoch weitgehend widersetzen. Sie fürchten, dass noch mehr Kompetenzen für die Regionen und Gemeinschaften Belgien schließlich so weit schwächen würden, dass die Spaltung des Landes unumgänglich wird. Allein diese flämisch-wallonische Kontroverse macht deutlich, wie schwer es nach dem Wählerurteil sein wird, eine neue Regierung auf die Beine zu bringen, auch wenn, wie gerade erwähnt, theoretisch drei bis vier Möglichkeiten denkbar sind. Gerade letzteres macht die Wahl nicht nur besonders spannend, sondern sorgt auch dafür, dass die Parteien wirklich um jede Stimme kämpfen, um ihr politisches Gewicht bei der Regierungsbildung zu vergrößern. Das geschah in dieser Woche in der Wallonie derart verbissen, dass zwischen der liberalen MR und den Sozialisten ein Bruch entstand, der nach den Wahlen so schnell wohl nicht zu kitten sein wird.
Politische Beobachter rechnen jedenfalls mit ebenso zähen wie langwierigen Koalitionsverhandlungen, so dass wir am Sonntagabend zwar die Stärke der Parteien und die neue Zusammensetzung des Parlaments kennen werden, aber nicht wissen, welche Regierung für die nächsten vier Jahre die Geschicke des Landes bestimmen wird.
Man kann nur hoffen, dass dabei dem Wahlergebnis so weit wie möglich Rechnung getragen wird und dass das politische Machtvakuum nicht allzu lange dauert.
Zum Schluss sei noch Folgendes gesagt:
Auch wenn der Wähler bei der Bildung der neuen Regierung nichts mehr zu sagen hat, auch wenn die flämisch-wallonischen Gegensätze für so manchen mehr als enttäuschend sein mögen, auch wenn der Wahlkampf über weite Strecken fade war und sich die Programme der Parteien in vielen Fragen sehr ähnlich sehen, sollte man die hierzulande bestehende Wahlpflicht in erster Linie als das Recht betrachten, ein Wort mitzureden.
Nur wer das tut, der darf sich beklagen, wenn er mit der Politik nicht einverstanden ist. Die anderen, die nicht oder ungültig wählen, schreien zwar meist am lautesten, doch haben sie eigentlich nicht das Recht dazu. Wer sich nämlich um Politik nicht kümmert, um den kümmert sich die Politik, und zwar oft anders als ihm lieb ist. Deshalb ist es zweifellos besser, am Sonntag unter den demokratischen Parteien jener den Rücken zu stärken, von der man sich am besten vertreten fühlt.