Wahlen stehen bevor. Die beiden Spitzenkandidaten treten in einem Fernsehduell gegeneinander an. Die Spannung ist maximal, die Luft elektrisiert. Im ganzen Land flimmern die Fernseher. 500.000 Belgier starren gebannt auf den Bildschirm, wollen sich dieses fast schon danteske Schauspiel nicht entgehen lassen. Das ist Demokratie,... könnte man meinen; es gibt da nämlich ein Problem: die Bühne für diesen von 500.000 Belgiern verfolgten Showdown steht nicht in Belgien sondern in Frankreich. Prinzipiell ist es natürlich nicht weiter tragisch, wenn man sich für die Wahlen im Nachbarland interessiert. Nur ist es ja bekanntlich so, dass auch hierzulande schon sehr bald gewählt wird. Ségolène und Nicolas locken derzeit aber deutlich mehr Landsleute hinterm Ofen hervor als Elio oder Didier. Bezeichnend...
Nun ja, es sind ja noch knapp 40 Tage, da kann noch einiges passieren.
Die Wahl in Frankreich, sie interessiert nicht nur die belgischen Bürger; auch die Politiker, vor allem im frankophonen Teil des Landes, schauen mit glänzenden Augen über die Grenze.
Und bei allem Liebäugeln haben sie sich offensichtlich in gewissem Sinne auch anstecken lassen: je mehr man sich mit dem einen oder mit der anderen identifiziert, desto klarer werden wieder die Trennlinien zwischen den einzelnen Parteien.
Noch in dieser Woche besuchte Elio Di Rupo Genossin Ségolène in Lille. Didier Reynders will am Sonntag nach Paris fahren, um dabei zu sein, wenn sein Freund Nicolas zum Président de la République gewählt wird. Und Joëlle Milquet sah ihrerseits in François Bayrou, der sich vor dem ersten Wahlgang als Mann der Mitte profiliert hatte, ihren natürlichen Verbündeten.
In Frankreich stehen Ségolène Royals Sozialisten und Nicolas Sarkozys UMP für zwei Pole, für zwei verschiedene Gesellschaftsmodelle, für zwei grundlegend anders gelagerte Politikansätze. Und indem sich die Parteichefs aus dem südlichen Belgien mit dem einen oder mit der anderen verbrüdern, scheinen sie auch ihr eignes Profil wieder zu schärfen, verlassen sie die vor einigen Jahren ach so umbuhlte Mitte wieder und kehren auf die linke rechte respektive linke Seite des Spektrums zurück.
Links, Rechts, Mitte: vor einigen Jahren hieß es noch, diese Unterteilung des politischen Spektrums sei überholt, gehöre der Vergangenheit an. Und wenn es tatsächlich nur auf die Wahlen in Frankreich zurückzuführen ist; fest steht, dass auch der belgische Wahlkampf wieder deutlich ideologischere Züge trägt. Vor allem die Liberalen kehren verstärkt zu ihren Wurzeln zurück.
Lohnnebenkosten runter, Schluss mit dem Versorgungsstaat, der nur dazu dient, den verfilzten Klientelismus aufrecht zu erhalten, heißt es da. Und am 1. Mai der Liberalen in Jodogne: Töne, wie man sie seit Jahren nicht gehört hat: „Wer sich mit einer sozialistischen Kandidatin identifiziert, die von der ewig gestrigen, kommunistischen Extremen Linken unterstützt wird, der hat nicht verstanden, dass unser Land frische Luft, Dynamik und Freiheit braucht“, sagte MR-Chef Reynders. Die Länder des alten Ostblock öffneten sich dem Liberalismus. Auch weil sie wissen, dass in der Vergangenheit keiner versucht habe, die Berliner Mauer von West nach Ost zu überwinden, fügt der Oberblaue hinzu. Aber hallo!
Die Sozialisten machen sich ihrerseits wieder in aller erster Linie zum Anwalt des kleinen Mannes, der Sozialschwachen, der Menschen mit kleiner Pension. Und die Liberalen stehen hier für das Gegenmodell: Es gilt, die MR zu schlagen, gab etwa Michel Daerden unter anderem am vergangenen Sonntag in Kelmis den Anwesenden mit auf den Weg.
PS gegen MR! Wobei beide eben wieder für IHREN Weg stehen, und nicht mehr versuchen, sich von rechts oder links der Mitte anzunähern.
In Zeiten einer starken recht-links-Polarisierung ist es traditionell schwer, sich als Partei der Mitte zu behaupten. Das wissen auch die „demokratischen Humanisten“ der CDH. Dennoch haben sie sich im Fahrwasser von François Bayrou noch einmal ganz klar zu Mitte bekannt. Die CDH stellt Werte in den Mittelpunkt: good governance, Respekt, Familie, um nur einige zu nennen. Je nach Wahlausgang kann die CDH natürlich sowohl mit dem einen, als auch mit dem anderen der beiden Streithähne eine Koalition eingehen. Wie früher, als die einstige PSC eigentlich immer dabei war.
Und auch die Grünen von ECOLO besinnen sich wieder verstärkt auf ihre Wurzeln. Eine Umweltpartei war ECOLO zwar immer; jetzt, in Zeiten des Klimawandels aber erst recht. Die Rettung des Planeten steht im Mittelpunkt ihres Programms.
Links-Mitte-Rechts, wobei die Grünen traditionell auf der linken Seite anzusiedeln sind: Es ist gut, dass die Grenzen wieder deutlicher werden. Klar will die PS nicht alle Firmenchefs aus dem Land jagen; und die MR will ihrerseits auch nicht alle Sozialleistungen auf null fahren. Aber man beackert wieder verstärkt sein angestammtes Terrain und das kann eigentlich nur zu klareren politischen Aussagen führen. Weg von Wischiwaschi-Parolen! Die 4 Jahre, die Sozialisten und Liberale in einer „Koalition wider Natur“ verbracht haben -nach dem berühmten Ausspruch von Laurette Onkelinx- diese 4 Jahre haben wohl auf beiden Seiten dazu geführt, dass man weiß, was man nicht ist, und auch, was man nicht will.
Dies alles gilt aber erstmal nur bis zum 10. Juni. Am 11. lösen sich diese ideologischen Zwistigkeiten für eine gewisse Zeit in Wohlgefallen auf. Dann wartet nämlich eine neue Bedrohung, dieser apokalyptische gemeinschaftspolitische Clash, jener x-te Anlauf zur Neuordnung des Staates, der die gesellschaftspolitischen Themen, die die Bürger wirklich betreffen und die im Wahlkampf so ausgiebig diskutiert wurden, dann doch erstmal wieder in den Schatten stellt.