Was lange währt, wird endlich... gut? Nun ja, das muss sich erst noch zeigen. Sich eine fundierte Meinung über die inhaltlichen Schwerpunkte der Schwedischen Koalition zu bilden, ist nach wie vor schwierig. Offiziell vorgestellt wurden die Maßnahmen nämlich immer noch nicht. Man kann sich da nur auf die Texte berufen, die durch die Presse geistern, die aber streckenweise eher einer Kladde ähneln...
Genau das hinterlässt im Grunde auch schon jetzt den Eindruck eines gehörigen Fehlstarts. Die Schwedische Koalition will dem Land eine Rosskur verschreiben. Man kennt aber allenfalls die grobe Zusammenstellung. Gewerkschaften und Opposition wird allein beim Anblick der Ingredienzen schon übel. Der Beipackzettel, der vielleicht einige Nebenwirkungen relativieren würde, auf den wartet man aber nach wie vor vergebens. Man darf aber doch eigentlich erwarten, dass eine Koalition, die das Land in gewissen Bereichen auf den Kopf stellen will, dass diese Koalition den Bürgern diese Schocktherapie auch mal darlegt, sie in ihren Kontext setzt, sie erläutert, sie richtiggehend "verkauft".
Mag sein, dass das Strategie ist, nach dem Motto: "Lassen wir die Gewerkschaften und die Opposition jetzt erstmal losballern. Sie schießen ja ohnehin ins Blaue." Dennoch: Angesichts der Tragweite der beschlossenen Reformen hinterlässt das einen gefährlichen Eindruck von Nonchalance, fast von Geringschätzung der Bürger und ihrer durchaus legitimen Sorgen.
Das, was man von dem Koalitionsabkommen weiß, hinterlässt bislang jedenfalls einen doppelten Eindruck. Auf der einen Seite spürt man, dass die Schwedische Koalition die Herausforderungen der Zukunft annehmen will. Haushaltssanierung, Rentenproblematik, die zu hohen Lohnkosten in Belgien: Es ist gut und richtig, dass sich die neue Regierung diesen Problemen stellen will und sich dabei offensichtlich nicht, wie bislang viel zu oft, auf kosmetische Korrekturen beschränkt.
Natürlich können in diesem Fall die Rezepte nicht immer geruch- und schmerzlos sein. Wer den Bürgern weißmachen will, dass die Welt in Belgien – und offensichtlich nur in Belgien - auch in Zukunft so weiterlaufen kann, wie bisher, der ist geistig bei den Großen Streiks von 1960-61 stehengeblieben. Wer die 130 Jahre sozialen Fortschritts erhalten will, wie es sich die PS auf die Fahnen schreibt, der darf nicht rückwärtsgewandt sein, der muss die Systeme zukunftsfähig machen.
Auf der anderen Seite hätte man da aber – und das ist der zweite Eindruck, den das Regierungsprogramm hinterlässt - durchaus kreativer ans Werk gehen können, als es die Schwedische Koalition getan hat.
Beispiele
Beispiel Rentenreform: Dass das Pensionssystem ohne nachhaltige und beherzte Korrekturen gegen die Wand fährt, das sollte eigentlich jedem einleuchten. Wer das Problem aber lösen will, indem er allein das Renteneintrittsalter anhebt, der macht es sich viel zu einfach. Warum ist man nicht zum Beispiel der Vandenbroucke-Arbeitsgruppe gefolgt, die die Länge der Laufbahn in den Mittelpunkt stellen wollte? Und wo sind die Begleitmaßnahmen? Wenn die Menschen bis 67 arbeiten sollen, dann muss man dafür auch die Grundbedingungen schaffen. Nach dem derzeitigen Stand bedeutet die Rente ab 67 faktisch eine Rentenkürzung. Die meisten werden zwangsläufig früher aussteigen, und entsprechend weniger Pension beziehen...
Anderes Beispiel: die Senkung der Lohnlasten für die Unternehmen. Ist es denn so undenkbar, diese sicher bitter nötige Entlastung an Bedingungen zu knüpfen? Nach dem Motto: Im Gegenzug sollten die Unternehmen auch Arbeitsplätze schaffen. So muss man den Eindruck haben, dass man der Wirtschaftswelt und den Aktionären im Grunde nur das Geld in den Rachen schaufelt.
Was bleibt, das ist dann doch der Verdacht, dass die rechten Parteien zumindest in Teilen allzu klassisch dogmatisch daherkommen, nach dem Motto: Rechte Politik machen, um rechte Politik zu machen.
Und das zudem auf Kosten der Arbeiter und der Mittelklasse. Das ist keine Polemik, das ist tatsächlich Fakt. Und hier liegt denn auch das größte Risiko: Der kleine Mann muss nicht erst von den Gewerkschaften und der Opposition aufgestachelt werden, um den Eindruck zu haben, dass vor allem er die Zeche zahlt. Will die Koalition auf Dauer bestehen, dann muss sie hier gegensteuern. Das gilt vor allem im südlichen Landesteil. Die liberale MR muss sich im frankophonen Spektrum ihre Legitimität erst noch verdienen. Aller billigen Polemik zum Trotz, auch das ist eine Tatsache. Wer bestenfalls ein Drittel der Wählerschaft repräsentiert, der kann nicht wirklich von sich behaupten, über ein lupenreines Mandat der Bürger zu verfügen. Durch die mangelnde Legitimität riskiert man nämlich eine lupenreine Spaltung, mit freundlichen Grüßen von Bart De Wever und befeuert insbesondere von der PS, die hier den besonders schlechten Verlierer gibt. Die MR sollte eben nicht vergessen, dass man diese Konstellation nicht umsonst in einer ersten Phase "Kamikaze-Koalition" genannt hat.
Deswegen muss diese Regierung schnellstens ihre Kommunikationsdefizite korrigieren, muss auf den Bürger zugehen, den Sozialen Dialog suchen, muss zumindest versuchen, die Menschen mitzunehmen, zu überzeugen. Denn, erst recht auf die Wallonie bezogen: Man kann niemanden zu seinem vermeintlichen Glück zwingen. Zumal, wenn der Beweis dafür erst in einigen Jahren erbracht werden kann.