Der erste belgische Oscar ist dann auch zum Greifen nah, meinen vielen Experten. Der Film von Felix Van Groeningen enthalte alle Zutaten, um die ruhmreichste Auszeichnung der Welt zu erhalten. Ohnehin fällt auf, dass in letzter Zeit immer mehr Filme, Regisseure und Schauspieler aus Belgien von sich reden machen. Die letzte Oscar-Nominierung liegt ebenfalls erst zwei Jahre zurück.
Egal, ob die Gebrüder Dardenne in Lüttich, Felix Van Groeningen in Gent, Michael R. Rosskam in Hasselt oder Bouli Lanners in Moresnet: Belgiens Filmbranche ist zwar klein, dafür aber kreativ, hochprofessionell und bestens vernetzt. Dafür sorgen auch die regionalen Filmförderungsgesellschaften - der Flämische Audiovisuelle Fonds sowie Bruxellimage und Wallimage im Süden des Landes. Sie haben dazu beigetragen, dass nicht mehr jeder sein eigenes Süppchen kocht, sondern dass die Qualitäten gebündelt werden.
Und es gibt noch einen Grund für den Erfolg des belgischen Films: Ein Steuerbegünstigungsmechanismus, der sogenannte Tax Shelter, der 2002 vom Föderalstaat eingeführt wurde. Wenn ein Unternehmen in die belgische Filmbranche investiert, dann kann es Steuern sparen. Seit mehr als zehn Jahren kommt die Filmindustrie dadurch leichter an Finanzmittel. Größere und vor allem bessere Produktionen sind die Folge. Viele Jobs wurden hierzulande geschaffen, das Geld wird in Belgien ausgegeben oder kommt belgischen Künstlern zu Gute. Allerdings wird das System zunehmend ausgereizt, die Firmen haben offenbar nur ihren Profit vor Augen. Zwischenhändler verdienen Geld daran, in dem sie ihren Kunden eine garantierte Rendite versprechen - von bis zu 20 Prozent. Kein Wunder also, dass die gesamte belgische Filmwelt vor knapp zwei Wochen die Alarmglocke geläutet hat. Die Angst geht um, dass der Tax Shelter gestrichen werden könnte - dann wäre wieder nur "Provinzkino" möglich. Zusammen mit dem Filmsektor will Finanzminister Koen Geens jetzt strengere Regeln ausarbeiten.
Zwar ist hier die ganze Zeit die Rede vom "belgischen Film" - aber den gibt es eigentlich gar nicht. Genauso wenig wie es DAS belgische Fernsehen gibt. Es gibt flämische, französischsprachige und deutschsprachige Sender. Und so ist es auch beim Film: Kaum ein Flame kennt wohl den wallonischen Ausnahmeschauspieler Benoît Poelvoorde aus Namur, der sogar in Frankreich ein Superstar ist. Genauso wenigen Wallonen dürfte im Gegenzug Mathias Schoenaerts ein Begriff sein - das Ausnahmetalent aus Antwerpen, das sogar in Hollywood gefragt ist.
Den jetzt für den Oscar nominierten Streifen "The Broken Circle Breakdown" hat zwar fast eine halbe Million Menschen gesehen, der Film wurde allerdings nur in flämischen Kinos gezeigt. Dabei wäre es ein Kinderspiel, die Produktion auch in der Wallonie zu projizieren. Die Kinofilme werden nämlich meist so oder so untertitelt, um sie im zweisprachigen Brüssel zu zeigen. Warum also nicht auch auf der anderen Seite der Sprachengrenze? Die Filmvertriebsgesellschaften könnten etwas mehr Risikobereitschaft an den Tag legen und die Zuschauer mehr Mut. Sie wissen nämlich gar nicht, was ihnen entgeht. Oft sind tolle Geschichten dabei, eine erfrischend kreative Machart und talentierte Darsteller. Man denke nur an Veerle Baetens, die vor knapp einem Monat als Europas beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde. Warum sollte man sich so etwas jenseits der Sprachengrenze entgehen lassen?
Die Kinobetreiber in Ostbelgien sollten sich ruhig auch hin und wieder trauen, mehr belgische Filme zu programmieren. Denn in der Deutschsprachigen Gemeinschaft kennt der normale Kinobesucher leider weder Poelvoorde noch Schoenaerts.
Die belgischen Oscar-Nominierungen und das gesteigerte Interesse im Ausland werden hoffentlich dazu führen, dass die Belgier ihre Filmwelt entdecken. Und zwar die Ganze, nicht nur die Halbe…