Der Bildungsbürger Bart De Wever ist ja selten um eine lateinische Sentenz verlegen. Und gerne bemüht er Bilder aus der klassischen Mythologie, um seine politischen Entscheidungen zu rechtfertigen. Wie diese Woche die Parabel, wo der antike Herakles sich entscheiden muss zwischen dem mühelosen Weg des Lasters und dem beschwerlichen, steinigen Weg der Tugend.
Das Thema ist über Jahrhunderte auch immer wieder künstlerisch aufgegriffen worden unter dem Titel „Herkules am Scheideweg“ und war zuletzt noch im Rahmen der große Marc-Aurel-Schau in Trier in dem Ausstellungsteil zu sehen, der die Frage stellte: Was ist gute Herrschaft?
Insofern war die Anleihe des Premiers gar nicht so weit hergeholt, als er die Spar- und Reformpläne seiner Regierung als ebenso steinigen Weg beschrieb. De Wever hätte die drängenden Anforderungen an unsere Gesellschaft auch vergleichen können mit den zwölf Arbeiten des griechischen Superhelden, die zu erledigen unmöglich schien. Vielleicht wollte De Wever bei seiner ansonsten ungeschminkten Rede aber nur nicht ungeniert erzählen, wie Herakles den Stall des Augias ausgemistet hat.
Denn dieser Vergleich hätte getroffen, was seit (mindestens) 20 Jahren in Angriff hätte genommen werden müssen. Mit der Ankündigung des Mehrjahreshaushalts, dessen Tauglichkeit sich zwar noch erweisen muss, machen De Wever & Co bei allen nur grob bezifferten Einzelmaßnahmen einen Riesenschritt in die richtige Richtung.
Und ja, dazu gehört auch die bis auf Weiteres zweimal geplante Deckelung der Indexanpassung. Die Indexierung soll schließlich die Lebenshaltungskosten spiegeln, nicht den Lifestyle.
Wo die Welt aus den Fugen gerät, wo der demographische Wandel historisch gewachsene Sozialmodelle an ihre Grenzen bringt und wo die Künstliche Intelligenz den Arbeitsmarkt in einer Weise verändern wird, von der wir uns kein Bild machen, muss es - verdammt nochmal - auch möglich sein, „erworbene Rechte“ zu verhandeln.
Die Reaktionen dieser Woche, ob rund um den dreitägigen Streik oder im Parlament in Brüssel, wo allen Ernstes um die Teuerung einer Portion Fritten gestritten wurde, lassen nichts Gutes erahnen.
Am Ende seiner Regierungserklärung vom Mittwoch zitierte Bart De Wever keinen Geringeren als Winston Churchill mit dessen Ausspruch nach der Schlacht von El Alamein, einem entscheidenden Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg. An diesem Punkt sind wir noch lange nicht. Und noch viel weniger sind wir bereit für „Blut, Schweiß und Tränen“. Bei fehlendem Einlenken könnte sich das irgendwann von selbst einstellen.
Stephan Pesch