Zwischen einer Ankündigung und ihrer Umsetzung liegen Welten. Anders ist nicht zu erklären, dass ein Rundschreiben an alle 17 Jahre alten Belgier, wie es Verteidigungsminister Theo Francken schon vor Monaten angekündigt hatte und das seitdem durch alle Medien gegeistert ist, seit der Zustellung in den letzten zehn Tagen bei den Adressaten und ihren Eltern eine solche Schockreaktion auslösen konnte.
Und es ist ja tatsächlich etwas anderes, persönlich angesprochen oder angeschrieben zu werden als nur Teil einer potenziellen Alterskohorte zu sein. Rund 130.000 Schreiben an Jugendliche sind rausgegangen. Als Absender fungieren neben dem Minister der Landesverteidigung der Premier und der “Verteidigungschef”, also neben Theo Francken noch Bart de Wever und der Generalstabschef Frederik Vansina. Nicht irgendein Abteilungsleiter Human Ressources.
Das Staatstragende dieses Anschreibens wird auch in der Schlussformel deutlich, wonach die Absender hoffen, dass der (geduzte) Adressat "mitmacht" und "bereit ist, gemeinsam unser Land zu stärken". Ansonsten liest sich der in korrektem Deutsch verfasste Brief eben wie ein ... Anwerbungsschreiben. Geworben wird unter anderem mit einem "attraktiven Gehalt" von mindestens 2.000 Euro netto im Monat. Und der Wortlaut des Schreibens unterstreicht die Freiwilligkeit des "Militärdienstjahres". Keine Rede von Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht (für Männer), wie sie bis 1993 bestand und seither "ausgesetzt" wurde. Jetzt sollen sich die jungen Menschen um einen der 500 Plätze bewerben können - nachdem sie an einer Informationsveranstaltung teilgenommen haben.
Deutschland geht einen Schritt weiter: Ab dem kommenden Jahr sollen alle 18-Jährigen (Männer verpflichtend, Frauen wahlweise) einen Fragebogen ausfüllen, um Eignung und Motivation zu ermitteln. Alle Männer, die nach dem 1. Januar 2008 geboren sind, sollen dann schrittweise gemustert werden. Die Musterung soll zeigen, ob sie "wehrdiensttauglich" sind, sie ist noch keine Verpflichtung.
Sollten sich nicht genügend Anwärter freiwillig melden, um die Zielvorgaben zu erreichen, soll es in Deutschland eine wie auch immer geartete "Bedarfswehrpflicht" geben – das angestrebte Losverfahren ist umstritten. Das sei "praktisch Russisch Roulette", befindet sinnigerweise Jan van Aken, der Vorsitzende der Partei "Die Linke". Ich sehe zurzeit nur einen Russen, der mit uns Schlitten fährt. Van Aken kündigte auch einen "kleinen Ratgeber" an, "wie man sich am besten vor dem Militärdienst drückt", zum Beispiel durch einen "ordentlichen Joint vor der Musterung". Da haben manche wohl zu viel gekifft.
In Deutschland wie in Belgien sind wir noch weit entfernt von einer Generalmobilmachung. Da gelten andere Auswahlkriterien: Da muss jeder ran, der laufen kann. Alles andere als Bullerbü leben die Skandinavier vor: Die Schweden oder Norweger wählen schon seit einigen Jahren, diejenigen aus, die für den Wehrdienst am besten geeignet sind ... und "dienen" wollen. Unter Männern und Frauen. Und, wie früher bei der Wehrpflicht hierzulande, quer durch alle Schichten. Die Dänen ziehen nach und haben auch ein Losverfahren eingeführt. Bei aktuell mehr als 99 Prozent Freiwilligenquote wird daraus ein Freilos.
Ein solches Losverfahren ist so gerecht oder ungerecht wie jedes andere Losverfahren. Und so "fair" wie ein Dienst an sich, wo der allergrößte Teil eines Jahrgangs gar nichts tun muss, während ein (kleiner) Teil mehr als ein Jahr dem Militärdienst opfert. Übrigens: Anfang dieser Woche sind bei einem russischen Raketenangriff in der Region von Charkiw nach ukrainischen Angaben mindestens neun Menschen verletzt worden, ein 17 Jahre altes Mädchen wurde dabei getötet.
Stephan Pesch