Man kann von Bart De Wever und seiner Politik ja halten, was man möchte. Aber eine Sache kann man ihm ganz sicher nicht vorwerfen: Dass er naiv ist. De Wever ist ein alter Hase und ein überaus gewiefter, und wenn es sein muss auch anpassungsfähiger Politiker. Sonst hätte er es schließlich nie - gerade als bekennender flämischer Nationalist - zum Premierminister des Landes gebracht.
Es ist also ausgeschlossen, dass De Wever nicht bewusst war, worauf er sich einließ, als er eine Koalition mit den frankophonen Liberalen von der MR einging. Oder besser gesagt: der MR unter der Führung ihres Über-Parteipräsidenten Georges-Louis Bouchez. Denn schließlich hatte De Wever schon vor der Bildung der Arizona-Regierung ausgiebigst Gelegenheit, Bouchez in Aktion zu erleben. Und De Wever dürfte sich auch keinerlei Illusionen gemacht haben, dass der deutliche Sieg der MR im frankophonen Landesteil bei Bouchez nicht zu noch mehr Oberwasser führen würde.
Dennoch ließ sich De Wever auf die Herausforderung ein. Vielleicht in dem Glauben, Bouchez, der ja nicht mal in der Regierung sitzt, doch irgendwie zumindest halbwegs bändigen zu können. Eine Fehleinschätzung, wie sich wieder und wieder zeigt. Und eine Fehleinschätzung, wie wir sie von De Wever sicher nicht gewohnt sind. Vielleicht war es deswegen auch gar keine Fehleinschätzung, sondern schlicht und ergreifend die Überzeugung, keine andere Wahl zu haben.
Aber wie dem auch sei, man muss eigentlich bewundern, wie beherrscht und professionell der Premierminister immer noch ist angesichts der ständigen Kapriolen und des Pascha-Gehabes des MR-Vorsitzenden. Vielen anderen Regierungschefs wäre vermutlich schon längst der Kragen geplatzt.
Nicht umsonst sprechen viele Beobachter nun aber von der kompletten Erniedrigung De Wevers. Die zusätzliche Frist von fünfzig Tagen kann nur schwer anders als als Zugeständnis an Bouchez interpretiert werden. Der im Gegenzug aber nicht wirklich bereit zu sein scheint, von seinen Maximalforderungen abzurücken. Stattdessen scheint er Kompromisse als etwas zu betrachten, das nur anderen Menschen passiert - auch wenn er selbst das natürlich vehement abstreitet. Und zwischenzeitlich ist die Arizona zu dem geworden, was De Wever bei der Vivaldi-Koalition immer so scharf angeprangert hatte: ein Kabbel-Kabinett, das zwar mit hehren Zielen angetreten ist, aber kaum etwas gebacken kriegt. Was für eine Schande, besonders für De Wever.
Bleibt noch die Frage, was Bouchez eigentlich letzten Endes anstrebt: Glaubt er wirklich, Kalif anstelle des Kalifen werden zu können und versucht sich deshalb vor dem Sturz der Regierung als unerbittlicher Streiter wider Steuern zu inszenieren? Oder aber ist er überzeugt, dass die anderen Regierungsparteien einfach irgendwann klein beigeben werden, aus Angst vor Neuwahlen? Glaubt er wirklich, dass seine Koalitionspartner nicht wissen, dass er danach in guter, alter Populisten-Tradition nur immer weitergehende Forderungen stellen würde?
Aber egal wie, eines ist jedenfalls sicher: De Wever wird Bouchez diese Schmach nie verzeihen. Auch wenn er aktuell, nicht zuletzt aus Gründen der Staatsräson, noch gezwungen ist, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Und Bouchez sollte sich jedenfalls besser in Acht nehmen. Denn wohl nur die wenigsten würden es dem Premier wirklich übelnehmen, wenn er das Knutfest vorziehen und versehentlich einen Weihnachtsbaum auf den MR-Chef fallen lassen würde.
Und noch etwas ist sicher: Für dieses Schmierentheater und diese Zeitverschwendung hat keiner der Verantwortlichen Geschenke unterm Baum verdient. Schon gar nicht, wenn man sich vor Augen hält, dass das Haushaltsdefizit mit jedem Tag der Untätigkeit nur noch größer wird. Und damit die Größe der Herausforderung. In diesem Sinne: Frohes Fest schon mal!
Boris Schmidt