"On aura tout vu!", sagt der Frankophone. Sinngemäß: Es gibt nichts, was es nicht gibt. "Definitiv nichts", muss man nach Donald Trumps ersten zwei Monaten im Amt sagen. Denn: Der neue US-Präsident hat die Welt buchstäblich auf den Kopf gestellt.
Erstmal im eigenen Land, wo plötzlich nur noch die Exekutive zu existieren scheint. Die Legislative, also das Parlament, findet so gut wie gar nicht mehr statt. Es wird einfach - per Erlass - am Kongress vorbeiregiert. Da werden ganze Ministerien und staatliche Agenturen einfach aufgelöst. Trumps Abrissbirne trägt den Namen "Abteilung für Regierungseffizienz", die geleitet wird vom Tech-Milliardär Elon Musk.
"Abteilung für Regierungseffizienz", allein diese Bezeichnung trägt Orwellsche Züge, fühlt man sich doch an die ominösen "Ministerien" aus dem epochalen Roman "1984" erinnert, in dem Orwell mit dem Stalinismus abrechnet und dabei das Röntgenbild eines totalitären Regimes entwirft. Besagte Ministerien jedenfalls tun genau das Gegenteil von dem, was ihre angebliche Zuständigkeit suggeriert. Da gibt es zum Beispiel das "Ministerium für Liebe", das nichts anderes ist als die Gedankenpolizei, also - grob gesagt - eine Stasi. Oder das "Ministerium für Wahrheit", das dafür zuständig ist, die Vergangenheit ständig zu manipulieren und umzuschreiben, um sie an die aktuelle Parteilinie anzupassen.
Und apropos: Man könnte fast schon meinen, die Trump-Administration hätte bei Orwell abgekupfert: Gerade im Moment wird in offiziellen Dokumenten etwa des Pentagons alles getilgt, was nicht ins Weltbild des neuen Präsidenten und seiner Clique passt: Fotos und Verweise auf nicht-weiße und nicht-männliche Militärangehörige, sogar Bilder des berühmten Bombers, der bei den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki eingesetzt wurde. Eben diese Tragödien wären vielleicht noch ein guter Grund gewesen, die besagte B-29 unter dem Radar fliegen zu lassen. Im vorliegenden Fall war es aber der Name der Maschine: "Enola Gay", klang vielleicht ein bisschen zu schwul…
Und das von einer Administration, die sich selbst als die Verteidigerin des "Freedoms of Speach" betrachtet, der Redefreiheit. Vizepräsident J.D. Vance hatte sogar den Nerv, den Europäern in seiner berüchtigten Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz die Missachtung eben dieser Redefreiheit vorzuwerfen. Das krasse Gegenteil dessen tun, was man predigt: Doppeldenk, Orwellsch in allen Belangen…
Regieren per Dekret inklusive der Missachtung des Parlaments, Säuberung bzw. Gleichschaltung der Verwaltung, da fehlt nicht mehr viel. Und in der Tat: Trump hat in einem seiner fast allmorgendlichen Wutanfälle vor einigen Tagen einen Frontalangriff auf die Justiz gestartet. Der war so heftig, dass sich sogar der Vorsitzende des Supreme Courts, also des Obersten Gerichtshofs, einschalten musste, was in den USA absolut unüblich ist. Hier bahnt sich ein Showdown an: eine ultimative Konfrontation zwischen dem Präsidenten und der Judikative. Vom Ausgang dieser Auseinandersetzung wird viel abhängen, sehr viel…
Fachleute sind sich jedenfalls einig, dass die USA im Schweinsgalopp in Richtung eines autoritären Regimes unterwegs sind. Die USA, der einstige Leuchtturm der Demokratie, das Land, das sich für "auserwählt" hält, und in dem vielleicht schon sehr bald einzig und ausschließlich ein selbsternannter "Auserwählter" das Sagen hat… All denen, die glauben, das könne überall passieren, nur nicht in "Gods Country", die glauben, dass es keinen Putsch ohne Panzer gibt, nun, all denen droht ein ganz böses Erwachen…
Die bisherigen Partner und Verbündeten wissen, wie sich das anfühlt. Sie wurden bereits wachgerüttelt. Gerade für Europa waren die letzten zwei Monate, sagen wir mal, "intensiv". Mit einem Mal wurde jedem klar, dass man sich auf die "Amis", wie man den großen Bruder bislang mal liebevoll, mal abschätzig nannte, eben auf diese "Amis" nicht mehr verlassen kann. Schlimmer noch: Dass man vielleicht schon sehr bald zum blaugelben Vogel für die russische Katze werden könnte.
Genau das war aber der Tritt in den - pardon! - Hintern, den die Europäer offensichtlich gebraucht haben. Die neue Bedrohungslage hat ihnen wohl mit einem Mal vor Augen geführt, dass sie tatsächlich die viel beschworene Schicksalsgemeinschaft sind. Selbst den Franzosen und Deutschen ist klar, dass sie alleine nicht bestehen können. Mehr noch: Sogar Großbritannien sucht wieder die Nähe zu den vor Kurzem noch ach so geschmähten Kontinentalen. Und nicht zuletzt jede Schimpftirade aus Washington oder Moskau ist nur ein Beweis mehr, dass Europa auf dem richtigen Weg ist.
"On aura tout vu". Auch im positiven Sinne. Plötzlich geschehen im Eiltempo Dinge, die man vor einigen Wochen noch für unmöglich gehalten hätte. War die größte Schwäche des Alten Kontinents bislang seine Uneinigkeit, so wirkt Europa mit einem Mal geradezu sensationell homogen. Klar: Meinungsverschiedenheiten gibt es immer noch, aber in der Sache ist man sich einig. Unvermutet wird Europa jetzt zum sicheren Hafen, auch zum Beispiel für US-Wissenschaftler, die im Land der Redefreiheit keine Redefreiheit mehr haben, was eine gewaltige Chance sein kann.
Die dürfen wir jetzt aber nicht vergeigen, all das darf man jetzt nicht gleich wieder verspielen. Die Herausforderung ist existentieller Natur, und das gilt nicht mehr nur für die EU als Institution, sondern für jedes einzelne Land. Wir dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen. Gemeinsam standfest bleiben oder untergehen.
Wir in Europa, die wir schonmal in den schlimmsten aller Abgründe geschlittert sind, wir werden nicht zuletzt durch die Ereignisse in Übersee auch nochmal an unsere eigene Geschichte erinnert. Um mal die Buchautoren Daniel Ziblatt und Steven Levitsky ("Wie Demokratien sterben") zu paraphrasieren: "Demokratien sterben nicht durch ihre Feinde, sondern durch das Versagen ihrer Verteidiger".
Roger Pint
Ich bin froh, dass Trump die EU aufgeweckt hat und jetzt militärisch aufrüstet.Das war längst überfällig.
Bevor man mit dem Finger auf Trump zeigt, sollten die Europäer sich selbst im Spiegel betrachten und sich fragen, wie es hierzulande mit der Demokratie bestellt ist.Hier ist auch nicht alles Gold was glänzt.Belgien macht da keine Ausnahme. 7 Monate, um eine Regierung zu bilden oder die Bevorzugung von Akademikern in der Politik zeugen von einer schwachen Demokratie.Auch in Belgien ist der Rechtsstaat in Gefahr, weil der Justiz das nötige Geld fehlt.
Extreme Auswüchse hat es in den USA immer gegeben wie zum Beispiel die Prohibition (Verkaufsverbot von Alkohol) oder die McCarthy-Ära.
Mal sehen wie weit Trump kommt.Die Amerikaner sind keine autoritätsgläubige Deutsche oder Russen.Und die USA sind kein Zentralstaat.Da ist die Macht auf mehrere Eben verteilt.