Zugegebenermaßen, manchmal ist es heikel, wenn man Menschen sieht, die sich objektiv und demonstrativ danebenbenehmen oder danebenzubenehmen scheinen. Sie könnten ja zum Beispiel psychische oder andere gesundheitliche Probleme haben, oder unter Drogen stehen. Oder vielleicht kommen sie ja auch frisch aus einem weit entfernten Kulturkreis, in dem das, was gesellschaftlich akzeptabel ist, einfach anders definiert wird.
Oft trifft aber nichts davon zu, sagen wir es also, wie es ist: Manche Menschen sind schlicht und ergreifend asozial. Ein paar konkrete Beispiele: Eine Familie samt männlichem Oberhaupt wird im Zug kontrolliert. Die Zugbegleiterin stellt fest, dass eine Mehrheit von ihnen keine gültigen Tickets hat. Nach langem Hin und Her, in denen die Reisenden angeblich keine der Landessprachen oder Englisch verstehen und auch keine Bankkarten besitzen, lässt die Zugbegleiterin das Wort "Polizei" fallen. Was umgehend und auf wundersame Weise nicht nur Bankkarten hervorbringt, sondern auch umfangreiche Sprachkenntnisse. Alltagskost für Zugbegleiter. Aber weil das Familienoberhaupt meint, vor Familie und Mitreisenden das Gesicht wahren zu müssen, folgt noch ein "Don't disrespect me, Darling" an die Zugbegleiterin, also ein "Zeig mir gefälligst Respekt, Schätzchen".
Zweites Beispiel: Eine nicht mehr ganz junge, schick gekleidete Dame mit Marken-Koffern und ohne Migrationshintergrund betritt im Brüsseler Europaviertel das Zugabteil. Sie setzt sich, eine Getränkedose in der Hand. Nachdem sie die Dose geleert hat, lässt sie die Dose nonchalant auf den Boden des Waggons fallen.
Drittes Beispiel: Ein kompletter Waggon sieht aus, als ob eine Essensschlacht stattgefunden hat. Ganze Laibe Toastbrot, Becher, halb volle Flaschen, leere Chips- und Süßigkeitentüten, Pappteller mit dicken Klecksern Ketchup und Mayonnaise, dazwischen Spielkarten und anderer Krimskrams auf den Tischen, auf den Sitzen und auf dem Boden. Die Reservierungszettel, die noch an den Fenstern kleben, verraten es uns: Hier ist eine organisierte Kinder- oder Jugendgruppe samt Aufsichtspersonen aus Flandern gereist.
Viertes und letztes Beispiel: Eine typische Kleinfamilie auf dem Weg zur Küste, ein Kind langweilt sich während der langen Fahrt offenbar. Und fängt deswegen damit an, erst die Fensterscheibe und dann die Kunststoff-Armlehne seines Sitzes abzulecken. Reaktion der daneben sitzenden Eltern: keine.
So unterschiedlich sie sind, eines haben all diese Fälle gemeinsam: Sie illustrieren eine Asozialisierung des Verhaltens in der Öffentlichkeit und das Verschwinden gesellschaftlicher Leitplanken. Toxische Männlichkeit und offener Sexismus im Jahr 2024? Offenbar kein Problem. Aufsichtspersonen, die offenbar alles machen außer Aufsicht zu führen? Geschenkt. Zumüllen oder Verunreinigen gemeinschaftlich genutzter Güter? Wird sich schon jemand anders drum kümmern, wozu bezahlt man schließlich Steuern.
Es ist natürlich nachvollziehbar, dass die wenigsten von uns Lust haben, sich mit anderen anzulegen. Schon gar nicht, solange man nicht direkt betroffen ist. Allerdings sollte man sich vielleicht auch ab und zu in Erinnerung rufen, dass ein Deich, der immer weiter unterspült wird, irgendwann unweigerlich bricht. Vielleicht wäre es also doch nicht ganz verkehrt, wenn wir als Gesellschaft zumindest ab und zu mal Respekt einfordern würden.
Boris Schmidt
Ich bin der Ansicht, dass gutes und höfliches Benehmen sehr wichtig ist für das Funktionieren der Gesellschaft. Es sollte in den Schulen gelernt werden anstelle von Religionsunterricht.
Gemeint ist hier, Herr Scholzen, dass wir bei Erleben von asozialem Verhalten nicht zuschauen oder uns abwenden sollen, sondern auch mal Tacheles reden.
Das oben genannte Verhalten finde ich immer schrecklicher, dabei ist heute noch mehr als früher eine Aggressivität zu erkennen, wenn man darauf hinweist. Man denke nur an Zigarettenkippen! Ich mische misch ein, seit Jahrzehnten. Einmal picknickten Pfadfinder auf einem unbebauten Grundstück gegenüber unserer Wohnung und LIESSEN ALLES LEERGUT einfach zurück. Da bin ich hinterhergelaufen und habe sie vor ihren "Schützlingen" zurückgepfiffen. Wenn selbst Jugendgruppen sich nicht an diese Regeln halten. Eine andere Person warf eine leere Getränkedose so in den Wald. Auf meine Bemerkung meinte sie, "dann sollen sie doch Mülleimer aufstellen"... und wer soll dann durch den Wald laufen und diese leeren? Soweit denkt keiner, aber das man eine leere Dose mitnehmen kann wie die vorher volle, das ist zuviel verlangt. Aber was ist immer die erste Bemerkung wenn man aus vermeintlich "primitiveren" Ländern zurück aus dem Ausland kommt? Es war da sehr sauber (oder auch nicht)