Ja, ist es denn zu glauben! Da ist Donald Trump, den aufgrund der bisherigen Erfahrung viele zu Recht für unfähig halten, dieses Amt auszuüben, drauf und dran, Joe Biden als US-Präsident abzulösen, der ganz offensichtlich auch nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist und derzeit ein Muster von Altersstarrsinn abgibt. Ist denn so ein Land nicht imstande, andere Kandidaten hervorbringen, fragt sich Lieschen Müller hierzulande und erhält statt einer Erklärung ein: "It’s politics, stupid!" - um im amerikanischen Wahlkampf-Jargon zu bleiben.
"Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient"? Das hieße, die süßen Sirenengesänge, gezielte Desinformation und blanke Ahnungslosigkeit auszublenden. Aber da ist schon etwas dran. Das haben im Umkehrschluss die jüngsten Wahlen in Großbritannien und Frankreich gezeigt: Das Volk hat am Ende die Politiker, die es sich verdient!
Was heißt das in diesem Superwahljahr für uns hier in Belgien? Nun, die Karten liegen so offen auf dem Tisch wie lange nicht. Und es geht zur Abwechslung mal gut voran bei der Regierungsbildung auf den unterschiedlichen Ebenen, mit einer grundlegenden Neuausrichtung vor allem im südlichen Landesteil. Ob die hochfliegenden Pläne des Tandems Bouchez-Prévot den Lackmustest bestehen, muss sich erst zeigen. Sie sind auf jeden Fall vielversprechend und einen Versuch wert.
Ähnliches gilt für die Landesebene: Ausgerechnet der flämische Nationalist De Wever soll beweisen, dass Belgien funktionieren kann? Warum denn nicht? Wer sagt denn, dass es ihm nur darum geht, das System von innen auszuhöhlen und ad absurdum zu führen? So wie es Vlaams Belang versucht und wie es einer von dessen Abgeordneten diese Woche bei der Eidesleistung in der Kammer vorexerziert hat.
Gleichzeitig wohnt diesen parlamentarischen Neuanfängen jener Zauber inne, den Hermann Hesse in seinem Gedicht "Stufen" beschrieben hat. Diese in wenigen Zeilen konzentrierte Lebensphilosophie der ständigen Entwicklung, des Nichtfesthaltenwollens und der Bereitschaft zu Neuem sollten sich gerade auch Politiker zu Herzen nehmen. Und dabei denke ich nicht nur an Trump oder Biden.
Stephan Pesch