Der Ausschluss der AfD-Abgeordneten aus der ID-Fraktion im Europaparlament und die Haltung unter anderem des Vlaams Belang dazu ist Thema in unserem Wochenkommentar.
"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder …" Das war (vor fast 60 Jahren) der bissige, naturalistische Abgesang des linken Liedermachers Franz Josef Degenhardt auf die kleinbürgerliche heile Welt der späten Nachkriegsjahre und den Zeitgeist vor den 68ern, deren Vorläufer er in gewisser Weise war.
In einer Fassung seines populärsten Liedes schimpft er über "die schwarz-braunen Richter in den roten Roben", die gerade das neue Kriegsdienstverweigerungsrecht abgeschmettert hatten. Und natürlich sah sich Degenhardt als Anwalt der so heruntergeputzten "Schmuddelkinder".
Dieses Bild von den "Schmuddelkindern" kam mir in den Sinn, als nun zwei Wochen vor den Europawahlen am 9. Juni alle Abgeordneten der Alternative für Deutschland aus der Rechtsaußen-Fraktion Identität und Demokratie (ID) im Europaparlament geflogen sind. Der Ausschluss hat vor allem symbolischen Charakter, weil das Parlament erst nach den Wahlen wieder tagen wird und sich auch die Fraktionen möglicherweise neu zusammensetzen. Aber selbst ihren stramm rechten Partnern erscheint die AfD als "kein guter Umgang".
Da ist ja auch einiges zusammengekommen an Verwicklungen, wie das Geheimtreffen mit dem Identitären und vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Martin Sellner; die Spionagevorwürfe gegen Mitarbeiter etwa aus dem Dunstkreis von Maximilian Krah. Und dann dessen unsägliche Äußerungen zur SS! Der gerade wegen einer Nazi-Parole verurteilte Björn Höcke und der "Vogelschiss"-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland lassen (wie auch immer) grüßen.
Dass die Partei gegen ihren EU-Spitzenkandidaten Krah ein Auftrittsverbot verhängt hat, lässt tief blicken. Und der Listenzweite Petr Bystron verzichtet von sich aus auf Wahlkampfauftritte, nachdem der Bundestag seine Immunität aufgehoben hat - es geht um Anschuldigungen, er habe Geld aus Russland angenommen. Noch Fragen?
Die Stange hält der AfD in Europa nur noch die FPÖ aus Österreich - beide Parteien werden auch in unseren ostbelgischen Breiten von einschlägigen Kreisen gerne mal als Referenz genommen oder als "Argumentationshilfe", sagen wir besser: als Vorschlaghammer.
Wenn nun Marine Le Pen lieber nicht mehr mit den "Schmuddelkindern" von der AfD spielt, will das schon was heißen. Wobei das nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass sie sich vor allem ein moderateres, weichgespültes Image verpassen will, wie Giorgia Meloni in Italien. Eine Walküre macht aber noch nicht zwangsläufig einen Engel ...
Denn Galionsfigur ist Marine Le Pen auch, wenn es darum geht, die radikale Rechte zu entdiabolisieren, etwa für den Vlaams Belang, der unter anderem durch Gerolf Annemans in der ID-Fraktion vertreten ist. Da passen die SS-Ausreißer von Maximilian Krah nicht recht ins Bild. In einem Interview mit der flämischen Zeitung "De Tijd" empfiehlt Annemans den deutschen Freunden von der AfD, endlich "erwachsen zu werden" und im übertragenen Sinn einen "gründlichen Hausputz".
Mit Blick auf den 9. Juni und die Aussicht auf einen möglichen weiteren Schwarzen Sonntag in Flandern beziehungsweise Belgien sollten wir aber auch unsere fein herausgeputzten "Schmuddelkinder" im Auge behalten.
Stephan Pesch
Gut möglich, dass die AFD sich selbst zerlegt und nicht gewählt wird.Nur dann wird am rechten Rand etwas anders kommen.Das Potential ist da.Die Menschen sind unzufrieden mit den anderen Parteien.Das hat rechten Parteien zum Durchbruch verholfen.
LePen betreibt Kosmetik, um gesellschaftsfähig zu werden mit dem Ziel, an die Regierung zu kommen.In Italien ist das schon passiert.Nur die große Katastrophe ist ausgeblieben. Italien ist Italien geblieben. Hochverschuldetet wie eh und je.Bisher auch Meloni kein Konzept, wie mit den Staatsschulden umgehen.
Anstatt diese Entwicklung zu beklagen, lieber analysieren, warum die Rechte stark werden konnte.Die Antwort findet man bei den anderen Parteien und deren Politik.Wenn linke Parteien die "kleinen Leute" vergessen, wählen diese etwas anders.Warum sollte ich als Handwerker "links" wählen, wenn linke Parteien mir und meinesgleichen keine Möglichkeit geben, irgendwie Verantwortung auszuüben ? Stattdessen Akademiker bevorzugen.Ich bin doch nicht blöd.
Die “Schmuddelkinder” tummeln sich bedauerlicherweise nicht nur auf den Parteispielplätzen. Die Wähler der Höckes, Krahs, Annemans und Co. sind ebenso ein Problem und die Tatsache, dass populistisches, rechtes bis rechtsextremes Gedankengut längst tief in die Gesellschaft diffundiert ist und dort auf fruchtbaren Boden trifft. Denn ohne die mitlaufenden oder mitgrölenden Gesinnungsgenossen (wie letztens auf Sylt) wäre die zu erwartende populistische, rechte, schwarze oder braune Welle nur ein unbedeutender Rinnsal.
In der DG - zumindest in deren Süden - wird es am 9. Juni möglicherweise auch zu einer kleinen oder größeren Welle kommen, wenn populistische politische Kräfte ihre Ernte einfahren.
Nicht zu vergleichen mit Weidel’s AFD, aber irgendwie schon…
Guten Morgen Herr Leonard.
Sie denken wie ein Pfarrer, der bedauerlicherweise feststellt, dass immer weniger zum Gottesdienst kommen. Aber nicht begreift warum.
Haben Sie sich schon mal gefragt, warum die Menschen extrem rechts wählen ? Schon mal gemacht ?
In Ihren Augen sind die Wähler das Problem, nicht die Politiker oder Parteien.Die sind für Sie unfehlbar.In Ihren Augen sieht die Problemlösung dann so aus, daß nur noch die wählen dürfen, die vorher irgendwie nachweisen konnten, dass sie die richtige politisch korrekte Einstellung haben.