Gefühlt ganz Brüssel kennt seit ein paar Tagen nur ein Thema: den Bruderzwist um die Listenaufstellung bei der frankophonen Sprachenpartei Défi. Ob es nun Kungelei oder sogar Betrug gegeben hat, steht weniger im Vordergrund. Das amüsierte Publikum wundert sich vielmehr, wie der frühere Vorsitzende Olivier Maingain seinem Nachfolger François De Smet in die Parade fährt. Und wem das nützen soll. Der Parteinestor in der Rolle der unliebsamen Schwiegermutter.
Davon gibt es in der Politik zuhauf. Oft sind es altgediente oder … ausgediente Mandatare. Zumindest in Belgien aber auch die aktuellen Parteipräsidenten wie der flamboyante Georges-Louis Bouchez. Wegen der Scharmützel bei der linksliberalen Défi müsste der sich eigentlich ins Fäustchen lachen. Er hat aber selbst genug damit zu tun, die Spitzenrollen im Superwahljahr zu besetzen.
Dagegen wirkt Ostbelgien wieder mal beschaulich. Hier geschieht (mangels Personals) noch vieles in Personalunion. Oder für jeden ist ersichtlich, wer wo das Sagen hat. Damit kein allzu idyllisches Familienporträt entsteht: Politische Schwiegermütter gibt es auch hier und hat es immer gegeben.
Von denjenigen auf anderen Entscheidungsebenen oder in "Mutterparteien" mögen sich die Ostbelgier nach und nach emanzipiert haben - das Rollenmuster sitzt aber sehr tief. Mit Schaffung eines Kulturrats/Parlaments unter Verzicht auf eine damals angedachte Gleichgewichtung der versammelten Bürgermeister war es geboren und hat sich im Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und den Gemeinden mit der Zeit verfestigt - ich erinnere an die "Oberbürgermeister"-Diskussion um MP Karl-Heinz Lambertz.
Sein Nachfolger Oliver Paasch schwört Stein und Bein, dass die DG-Regierung keine Gemeindepolitik mache - zuletzt in einem Interview im GrenzEcho. Das deckt sich nicht unbedingt mit dem, was bei den Bürgermeistern ankommt.
Es ist aber wie verhext: Läuft alles rund, verbittet man sich jede Einmischung. Gibt's ein Problem, ist Schwiegermama wieder gut. Jüngstes Beispiel: die Rufe nach dem Rettungsring im trockengelegten Bad in Kelmis. Oder nach einer Umverteilung des Haushaltsgeldes. Oder, oder, oder … Die so Geduldete gefällt sich in der Geberrolle - vom Notgroschen bis zum Großeinkauf. Dagegen ist ja auch nichts einzuwenden, insofern alle Beteiligten gut damit leben können.
In einem uralten Karnevalsschlager gab Willy Ostermann den diplomatischen Rat, die oft verschriene Schwiegermutter doch als süße Last zu betrachten. Wie umsichtig von ihm …
Stephan Pesch
Sehr geehrter Herr Pesch,
da Sie in exponierter Stelle sitzen und die Ostbelgische Politik genau verfolgen, kann es Ihnen doch nicht entgangen sein, dass einige Parteien in Ostbelgien noch immer an der Mutterbrust hängen. Oder wie erklären Sie sich auf den Neujahrsempfängen von SP CSP oder PFF die Anwesenheit von den Wallonischen Parteigrößen. Also ist es nicht so weit her mit der Emanzipation aller Ostbelgischen Parteien sowie in Ihrem Kommentar dargestellt. Ich bin hingegen davon überzeugt, dass eine gut durchdachte Politik überall in Belgien gehör findet ohne den viel zitierten langen Arm.
Albert Peters Kettenis