"Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will." Dieser Text zum Lob der damals jungen deutschen Arbeiterbewegung ist 160 Jahre alt und stammt von Georg Herwegh. Richtig, das waren ganz andere Zeiten. Heute würde der Dichter unsauber reimen: "Alle Räder stehen still, wenn Du Deinen Arm festklebst." Oder zu gegebenem Anlass: "wenn Du Deinen Traktor querstellst".
Wie, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun? Hier wie da werden Menschen daran gehindert, ihrem normalen Tagewerk nachzugehen. Ihr Ziel rechtzeitig zu erreichen. Einen Termin einzuhalten. Drauf gepfiffen. Hier geht es ja um ein Druckmittel für die eigenen Anliegen. Da bietet unsere auf Mobilität getrimmte Gesellschaft die perfekte Angriffsfläche.
Wenn nun alle Berufsgruppen und Interessenverbände, die unzufrieden sind (und es gibt weiß Gott einige) auf solche Mittel zurückgreifen würden? Es liefe gar nichts mehr. Alle Räder stünden still. In Bereichen wie der Pflege will ich mir so etwas nicht mal vorstellen.
Die Frage bleibt: Wozu? Bei der ausgebeuteten Arbeiterklasse im 19. Jahrhundert lag die Antwort auf der Hand. Und heute? Was genau wollen die Bauern mit ihrem Dauerprotest? Wie lautet der Zweck, der die Mittel heiligt? Das Ziel, dem der Arbeitskampf dienen soll? Weniger Auflagen - klar. Weniger Bürokratie - auch ok. Einen angemessenen Preis für ihre Arbeit und ihre Lebensmittel - absolut einverstanden!
Und dann? Am liebsten wäre den Landwirten eine Garantie, dass sie bei dem radikalen Wandel, den wir durchmachen, nicht unter die Räder kommen. In diesem Punkt unterscheiden sie sich nicht einmal so sehr von den in ihren Augen "nichtsnutzigen" Klimaklebern oder anderen jungen Protestlern. Auch wenn beide Welten und Sichtweisen Lichtjahre auseinander liegen.
Das konnten wir am Veilchendienstag erfahren, als im beschaulichen St. Vith rund 70 Tierschutzaktivisten den Schlachthof in Beschlag nahmen. Das rief schnell um die 50 Bauern, Viehhändler und Lohnunternehmer auf den Plan, von denen einige ihrem Unmut über diese bodenlose Frechheit freien Lauf lassen wollten.
Soweit kam es dank anderer, vernünftiger Stimmen nicht - abgesehen von ein paar platten Reifen und einem kurzen Spießrutenlauf als Abschiedsgruß an die Aktivisten. Der mehrfach unternommene Versuch eines Gesprächs endete in dem, was man im Französischen treffend beschreibt als "dialogue de sourds" - zum einen Ohr rein, zum anderen raus. Dicht machen!
Die Klimakleber der sogenannten "Letzten Generation" haben ihre Strategie immer dann geändert, wenn sie feststellen mussten, dass sie den Bogen überspannt hatten, zu viele gegen sich und ihre Ziele aufgebracht hatten. In Österreich, genauer gesagt in Innsbruck, legten sie nun (übrigens auch am Dienstag dieser Woche) den Verkehr lahm, indem sie sich SUV-große Holzgestelle umschnallten und durch die Innenstadt spazierten.
Trotz des Datums kein Faschingsumzug, sondern auch da legitimes Mittel zum Zweck. Oder wer wollte ihnen das abstreiten?
Stephan Pesch
Das Original lautet:
Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still.
Wenn dein starker Arm es will.
Deiner Dränger Schar erblaßt,
Wenn du, müde deiner Last,
In die Ecke stellst den Pflug.
Wenn du rufst: Es ist genug!
Brecht das Doppeljoch entzwei!
Brecht die Not der Sklaverei!
Brecht die Sklaverei der Not!
Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!