Jetzt erleben also auch die Niederlande ihren Trump-Moment: Ein Mann, der lange Jahre eigentlich als toxische Lachnummer durchging, als gefährlicher Spinner, vor dem man aber nicht wirklich Angst haben musste, weil niemand ernsthaft glaubte, dass er irgendwann mal eine kritische Masse erreichen würde, ein solcher politischer Desperado bekommt plötzlich die Schlüssel zum Olymp in die Hand gedrückt.
Und solch ebenso scheinbar unwahrscheinliche wie unheimliche Wahlsiege kann man nicht mehr länger als Betriebsunfälle abbuchen. Im Gegenteil! Man wähnt sich manchmal in einer beklemmenden Endlosschleife, in der aus der Ausnahme eine Regel zu werden scheint.
"Die Wähler sind schuld!", so eine gängige, reflexartige Reaktion. Rein technisch gesehen stimmt das natürlich, das ist schließlich die Quintessenz der Demokratie. Nur macht man es sich zu leicht, wenn man einfach mal so statuiert, dass die Wähler hier schlichtweg treudoof einem hergelaufenen, politischen Rattenfänger hinterhergewatschelt sind. Im vorliegenden Fall würde das etwa konkret bedeuten, dass fast jeder vierte Niederländer "nicht alle Tassen im Schrank hat". Nein, die traditionellen Parteien, also die politische Mitte, wäre gut beraten, den Fehler vielleicht auch mal zur Abwechslung bei sich selbst zu suchen.
Gerade das niederländische Beispiel spricht da Bände. Die Vorgängerregierung um den langjährigen Premier Mark Rutte hat nämlich - zumindest in den letzten Jahren - konsequent und mit aalglatter Eleganz an den Menschen vorbeiregiert. Politik als bürokratisch-legalistischer Selbstläufer, gut zu sehen etwa an der Kinderzuschlagsaffäre: Familien wurden zu Unrecht des Sozialbetrugs bezichtigt, Beihilfen für Kinderbetreuung wurden durch den Staat fälschlicherweise zurückgefordert, was die Betroffenen teilweise in wirkliche Notlagen brachte. Administrative Eiseskälte ohne jegliches menschliches Augenmaß.
Doch auch in den oberen sozialen Stockwerken hatten die Menschen den Eindruck, dass es irgendwie nie um ihre Sorgen ging. Schwindende Kaufkraft, Angst vor Wohlstandsverlust, scheinbar unkontrollierte Einwanderung: Die "da oben" in Den Haag schien all das nicht zu interessieren, sie waren vor allem mit sich selbst und ihren eigenen Pfründen beschäftigt. Da musste am Ende nur noch aus einem Saulus ein Paulus werden, musste sich ein Wilders in einen "Milders" verwandeln, um plötzlich als potenzielle Alternative zu erscheinen.
In der Tat hatte Geert Wilders zuletzt die harten Kanten demonstrativ rundgefeilt, sich mit seinen markigen Hetzereien einfach mal vornehm zurückgehalten - der Wolf hatte Kreide gefressen. Und das allein hat offensichtlich gereicht, eben weil die Menschen von ihren "traditionellen" Politikern einfach die Nase voll hatten.
Vieles von dem, was man da gerade so an Analysen über die Niederlande liest und hört, kommt dem gemeinen Belgier irgendwie bekannt vor. Hierzulande vermittelt die Politik auch viel zu oft den Eindruck, dass sie in erster Linie mit sich selbst beschäftigt ist. Politische Ränkespiele, die vielleicht noch ein Niccolò Machiavelli spannend finden würde, die aber letztlich nur innerhalb der Rue-de-la-Loi-Blase Wirkung entfalten.
Der profane Zuschauer guckt nicht mehr hin, er hat sich längst sein Bild gemacht. Und das ist das einer sich ewig kabbelnden Politiker-Kaste, die viel intensiver damit befasst ist, Partnern wie Gegnern Dolchstoße zu verpassen, als wirklich an Lösungen zu arbeiten. Parteien, die zwar Teil der Regierungsmehrheit sind, die sich aber momentweise zu Oppositionsführern aufschwingen, was das ganze Theater für den Normalbürger zunehmend unlesbar macht.
Ein Normalbürger, der aber in seiner Wirklichkeit die geballte Ladung an Problemen abbekommt: Inflation, schwindende Kaufkraft, und damit verbunden: Zukunftsängste. Zugegeben schützt Belgien seine Bürger noch vergleichsweise wirkungsvoll gegen makroökonomische Turbulenzen, Stichwort automatische Indexierung. Dennoch kann die Mittelschicht den Eindruck haben, dass sie ständig die Zeche zahlt, während die Reichen - oft buchstäblich schlafend - immer reicher werden.
Nicht umsonst haben Rechtspopulisten wie die PVV von Wilders, aber auch der RN von Marine Le Pen und der Vlaams Belang zumindest im sozialwirtschaftlichen Bereich Programme, die man durchaus als "links" bezeichnen kann. Sie wissen, dass sie die Menschen mitnehmen müssen. Die traditionellen Parteien haben das anscheinend vergessen. Und wenn sie doch mal auf diesen Trichter kommen, dann scheinen sie Extremisten lieber zu imitieren, statt ihnen das Wasser abzugraben.
Die Migrations-Debatte steht da beispielhaft. Ob die Problematik nun zu lange unterschätzt oder im Gegenteil von Extremisten auf ein verzerrtes Maß aufgebläht wurde, sei dahingestellt. Fakt ist, dass Parteien aus dem gemäßigt rechten, konservativen Spektrum plötzlich in eine taumelnde Torschlusspanik verfallen sind und glauben, sich am rechten Rand Ideen einholen zu müssen, um Extremisten zu entzaubern.
In Belgien weiß man seit 2019, dass das nur schiefgehen kann. Die N-VA hatte damals mit dem Thema Migration punkten wollen - Stichwort Marrakesch-Pakt -, und hat dadurch letztlich nur die politische Wiedergeburt des Vlaams Belang möglich gemacht. "Die Wähler bevorzugen das Original", das klingt wie eine Binsenweisheit, allein die traditionellen Parteien scheinen das noch nicht kapiert zu haben.
Und so entvölkert sich die politische Mitte immer mehr. Wenn die gemäßigten Parteien nicht zum Opfer der unbestrittenen und unbestreitbaren Polarisierung werden, dann zerlegen sie sich selbst. Ob nun Vivaldi in Belgien oder auch die Ampel in Deutschland: Die Regierungen müssen schnellstens einsehen, dass der Wähler nur eins von ihnen verlangt: Sie müssen liefern! Dafür sind sie da, dafür werden sie bezahlt.
Tun sie das nicht, verlieren sie sich in Sandkasten-Streitigkeiten, dann können am Ende sogar politische Scharlatane und ideologische Brandstifter wie potenzielle Heilsbringer wirken.
Roger Pint
Wirklich guter Kommentar.
Die Aussage "der Wähler ist Schuld" kann man nur als Unverschämtheit bezeichnen. Parteien und Politiker werden an ihrer Fähigkeit gemessen, Probleme zu lösen. Wenn Politiker Probleme nicht lösen, müssen andere her.
"Sie müssen liefern! Dafür sind sie da, dafür werden sie bezahlt." Genau das !!!!!! Die Politiker sind nur gewählte Vertreter der Menschen. Sie haben den Vorteil, dass sie nicht vorzeitig entlassen werden können. Und das nutzen die Politiker aus ! Nach einigen Jahren haben viele Wähler (leider) vergessen, was falsch gelaufen ist...
Wenn ich in den Niederlanden bin habe ich nicht den Eindruck, in einem Land zu sein, dass… seine Mitte verloren hat und am Rande des Abgrundes steht. Auch die Niederländer leben - allen Unkenrufen zum Trotz - immer noch in einer Überflussgesellschaft. Wenn ein liberalkonservativer Premierminister, seine Partei oder Regierungskoalition das Vertrauen der Wähler - durch welche politischen Fehlentscheidungen auch immer - verloren hat, besteht immer noch die Möglichkeit andere Parteien und Politiker zu wählen. Zumal das niederländische Parlament aus… 17 politischen Gruppierungen besteht. Muss es da unbedingt ein „Trump, eine politische Lachnummer, ein Spinner und politischer Desperado“ und eine Ein-Mann-Partei sein?
Nein, hier gilt, was auch in ähnlichen Krisensituationen in der Geschichte vorher funktioniert hat, wenn ein Menschen für (zu) einfache Antworten auf komplexe gesellschaftliche Probleme empfänglich werden und den „Y a qu‘à-Schreihälsen“ und Demagogen auf den Leim gehen. Nicht zu vergessen: 76,4 % der Wähler haben Wilders nicht gewählt.
Noch eine Bemerkung:
Ob 23,6 % der Niederländer, die „eine politische Lachnummer, einen Spinner, einen politischen Desperado“ und eine Ein-Mann-Inszenierung gewählt haben, „nicht alle Tassen im Schrank haben“ ist eine berechtigte Frage.
Wie ist es demgegenüber mit 46,8 der US-amerikanischen WählerInnen, die 2020 Donald Trump gewählt haben und ihn wohl auch 2024 wählen würden?
Um die Zurechnungsfähigkeit dieser Menschen mache ich mir zumindest ansatzweise Sorgen.
Herr Leonard.
Es ist doch eine riesige Unverschämtheit Ihrerseits, 1/4 der niederländischen Wähler für bekloppt zu halten, nur weil die Wilders gewählt haben. Anhalt welcher Kriterien beurteilen Sie dies ? Wie definieren Sie diesbezüglich normal und nicht normal ?
Bitte nicht vergessen, Wahlen in einer Demokratie dienen auch der Fehlerkorrektur. Das soll den etablierten Parteien zu denken geben, damit sie vom hohen Ross herunter steigen und Probleme lösen.
Wenn angeblich 1/4 der Wähler bekloppt sind, frag ich mich, wie die Niederlande so wohlhabend geworden sind ?
Herr Leonard.
Sie machen sich Sorgen über den Geisteszustand niederländischer und amerikanischer Wähler. Sie sollten sich lieber mal auch mit dem Geisteszustand von Greta Thunberg beschäftigen. Die leidet tatsächlich an sowas. Geert Wilders ist kein Antisemit, Greta Thunberg wohl.