Belgien gilt als eines der sichersten und friedlichsten Länder der Welt mit hoher Lebensqualität und weitreichenden Freiheitsrechten für Minderheiten. Doch wenn internationale Studenten ein Studium in Belgien in Erwägung ziehen, werden sie schon in Bildungsforen gewarnt, dass sie sich der Risiken bewusst sein sollten, die mit Studententaufen einhergehen.
Der Begriff "Tradition" ist auch in diesem Zusammenhang kein Gütesiegel, sondern Ausdruck schlechter Gewohnheiten. Alkohol im Überfluss, sexistische Lieder, rassistische Bemerkungen sind kein Alleinstellungsmerkmal von Studententaufen. Aber in Belgien werden die Einweihungsrituale dermaßen auf die Spitze getrieben, dass sie regelmäßig zu schweren Verletzungen führen und im schlimmsten Fall sogar zum Tod.
In den Notaufnahmen der Universitätskrankenhäuser können die Ärzte die Uhr danach stellen, wenn wieder getauft wird und Studenten verbrannt, unterkühlt oder alkoholvergiftet eingeliefert werden. Mit im Vorprogramm: Alle möglichen Demütigungen - gerne auch im öffentlichen Raum. Unsittliche Übergriffe dann eher auf privaten Feiern.
Der exzessive Charakter führt dann immer mal wieder zu großer Empörung. Die Ansichten, was gegen diese Entgleisungen unternommen werden sollte, gehen oft ins Extreme. Die einen wollen ein Totalverbot, andere wollen einen in ihren Augen wichtigen Teil der Universitätskultur erhalten.
So extrem verschieden die Meinungen sind, so unterschiedlich sind auch die Taufrituale der zahlreichen Studentenverbindungen. Von harmlos gesellig bis hart und brutal ist alles vertreten. Bei nicht wenigen Studententaufen gilt eine verdächtige Verschwiegenheitspflicht.
Das ist immer dann problematisch, wenn junge Menschen, die kaum volljährig sind, ihr Selbstbestimmungsrecht älteren Studenten überlassen und einige dann im Schutz der Gruppe ihren sadistischen Neigungen freien Lauf lassen. Dabei muss diese Machtdemonstration, die die Grenzen des guten Geschmacks weit hinter sich lässt, nicht mal geplant sein.
Nach vielen Stunden des feucht-fröhlichen Zusammenseins ist man schnell geneigt, eine neue Spitze zu wagen. Wer will dann kurz vor Sonnenaufgang, nach so viel Geselligkeit, der Spielverderber sein? Auf eine Zumutung mehr oder weniger kommt es dann auch nicht mehr an. Denkste!
Nüchtern betrachtet will die Öffentlichkeit das nicht mehr dulden. Wohl auch deshalb sind die Hochschulen endlich dazu übergegangen, nicht länger die Augen zu verschließen. Das Zauberwort heißt nach dem Fall Sanda Dia "Charta". Studentenvereinigungen sollen garantieren, dass die moralische und physische Integrität der Studenten gewahrt bleibt.
Auf Papier hört sich das schon mal gut an. Künftige Studenten sollten sich aber auch die Frage stellen, ob das reichen wird, wenn sich junge Angetrunkene bei nächster Gelegenheit wieder gegenseitig hochschaukeln, um die Belastbarkeit der Erstsemester auf die Probe zu stellen.
Statt - bildlich gesprochen - unbedacht den Kopf in den Sand zu stecken - ist es ratsam und empfehlenswert, vor dem ersten "Gueule en terre" abzustecken, wie weit man bereit ist, mitzugehen. Am besten zusammen mit Kommilitonen, damit man im Ernstfall nicht auf sich alleine gestellt ist.
Manuel Zimmermann hat an privaten und studentischen Tauffesten in Eupen und Gent teilgenommen. Bei seinem Studium in Lüttich hat er auf eine Studententaufe verzichtet. "Auf 'Gueule en terre' hatte ich keine Lust, weder als Bleu noch als Taufpate. Dass man im Studium nur Freunde findet, wenn man Katzenfutter gemischt mit anderen Scheußlichkeiten essen muss, halte ich für etwas wirklichkeitsfern."
Manuel Zimmermann