Eigentlich muss man zunächst einmal eine klare Unterscheidung machen: Zwischen dem Gesetzestext und seinen Implikationen einerseits und andererseits möglichen spezifischen Gefangenenaustauschen. Über letztere kann man nur spekulieren, denn weder Premier De Croo noch Justizminister Van Quickenborne werden sich zum jetzigen Zeitpunkt zu spezifischen Fällen äußern, auf die das Gesetz Anwendung finden könnte.
Schauen wir uns also vor allem den Gesetzesvorschlag an, der wohlgemerkt ja auch noch von der Plenarsitzung der Kammer durchgewunken werden muss. Hier geht es im Prinzip um ein bilaterales Abkommen über gerichtliche Zusammenarbeit. Das beinhaltet die Möglichkeit, wenn auch auf einer Fall-zu-Fall-Basis, rechtskräftig verurteilte Gefangene an ihr Heimatland zu überstellen, damit sie ihre Strafe dort absitzen.
So weit so gut, am Vertragstext an sich sei nichts auszusetzen, sagen Experten für internationales Recht. Solche Verträge seien notwendig, um auf internationaler Ebene in Strafsachen zusammenarbeiten zu können.
In diesem Zusammenhang kann man sich dann zunächst fragen: Warum sollte der Rechtsstaat Belgien mit dem Alles-andere-als-Rechtsstaat Iran überhaupt zusammenarbeiten? Mit den Verstößen des selbsternannten Gottesstaates gegen Menschen- und so ziemlich alle anderen Rechte der Welt könnte man ja schließlich ganze Bibliotheken füllen.
Natürlich, im Namen der Realpolitik werden immer mal wieder alle möglichen, oft nicht ganz sauberen oder ethischen Hinterzimmerdeals gemacht. Aber muss man wirklich einem Regime wie dem in Teheran durch eine offizielle juristische Zusammenarbeit zusätzliche Legitimation verleihen?
Zweites Problem: Das geplante Gesetz sieht die Möglichkeit einer Begnadigung, Amnestie oder Strafminderung für die Gefangenen vor, sobald sie sich wieder in ihrem Heimatland befinden. Bei den vollkommen willkürlichen Strafen, die von den sogenannten Gerichten im Iran verhängt werden, ist allein schon die Idee, dass ein dort verurteilter Belgier auf deren Basis hier im Gefängnis sitzen sollte, ziemlich absurd.
Was die umgekehrte Richtung angeht: Es besteht wohl kaum Zweifel daran, dass der Iran nur zwei Arten von in Belgien einsitzenden Iranern zurückhaben wollen wird: Erstens Dissidenten, um ihnen wer weiß was anzutun. Zweitens Terroristen, die dann als heimgekehrte Helden der Islamischen Revolution für ihren Einsatz im gottlosen Westen dekoriert und durch die Straßen Teherans paradiert werden können.
Wenn das Sinn und Zweck des Gesetzes ist, dann kann man sich ja eigentlich auch künftig die beträchtlichen Kosten und den Aufwand eines Prozesses gegen solche Leute hier sparen.
Und damit sind wir dann auch schon mitten in den potenziellen Implikationen: Dieser Gesetzesvorschlag ist wohl kaum förderlich für die Glaubwürdigkeit Belgiens, das sich ja auch den internationalen Kampf gegen Straflosigkeit auf die Fahnen geschrieben hat.
Wie sagte zum Beispiel Justizminister Van Quickenborne, der den jetzigen Gesetzestext zu verantworten hat, noch im April in der Kammer? "Wir sollten fest entschlossen sein, die Henker von Butscha und die Monster von Mariupol zu suchen, zu finden und vor Gericht zu stellen".
Wie glaubhaft ist das, wenn man sich vor Augen hält, auf wen das neue Gesetz am ehesten Anwendung finden könnte? Nach einhelliger Meinung ist das nämlich ein in Belgien inhaftierter iranischer Diplomat. Der soll im Regimeauftrag einen verheerenden Bombenanschlag auf eine Massenveranstaltung mit 25.000 Teilnehmern geplant haben.
Boris Schmidt
Wenn es darum geht, einem Belgier oder anderen das Leben zu retten, sollte man sich auf diesen Deal einlassen.
Hier den Moralapostel geben, ist vollkommen fehl am Platz. Denn auch sonst hat Belgien keine Berührungsängste mit Diktatoren. Da werden zum Beispiel Waffen an Saudi Arabien geliefert, die im jeminitischen Bürgerkrieg zum Einsatz kommen. Das Problem liegt eher darin, dass der Iran ein Verbündeter Russlands ist. Haben beide im syrischen Bürgerkrieg Präsident Assad unterstützt.