Es gibt seit diesem Sommer - und das ist kein Witz - ein Lied mit dem Titel "Déjà vu" von einer Band mit dem Namen … Corona. Darin geht es nicht um wiederkehrende Inzidenzkurven oder die Impfauffrischung. Es ist ein beschwingter Popsong, das Video zeigt Wohlfühlbilder am Pool und auf einem Boot unter der Sonne Kroatiens. Es sieht ein bisschen aus wie das viel beschworene "Reich der Freiheit".
Vom "Freedom Day" der Briten ist hundert Tage später nicht mehr viel zu spüren. Oder doch: Großbritannien hat wieder eine der höchsten Infektionsraten weltweit. Auch die Zahl der Krankenhaus- und Todesfälle steigt wieder. Womöglich hängt es teilweise mit der frühen Impfung auf der Insel zusammen. Deren Wirkung könnte schon nachlassen. Die störrischen Briten lassen sich nicht davon beirren. Am Ende verdirbt ihnen eher noch Corona als die Folgen des Brexit den Plumpudding zum Fest. Aber vielleicht überqueren sie dazu ja auch den Ärmelkanal.
In Belgien soll am nächsten Freitag der Konzertierungsausschuss unter anderem die lästigen Einreisebeschränkungen für britische Bürger lockern. Das nenne ich mal eine Vorzugsbehandlung. Hoffentlich sind sich bis dahin die Vertreter von Föderalregierung, Regionen und Gemeinschaften auch darüber im Klaren, wie sie mit der eigenen Bevölkerung umgehen. Da gibt es schon genug zu händeln.
Mal sind wir auf der letzten Ziellinie, mal mitten in der vierten Welle. Mal ist die Maske nicht so wichtig, dann doch wieder unverzichtbar. Mal hü, mal hott - so funktioniert das nicht. Vielerorts wurde alle Vorsicht fahren gelassen, obschon die aktuelle Entwicklung der Zahlen zu erwarten war, obschon es genügend Vorzeichen gab, obschon das Rumgeeiere um eine Impfpflicht hintenherum nicht gerade hilfreich war.
Irgendwann zu Beginn der aktuellen Pandemie stellte jemand die Frage, ob sich die Leute zur Begrüßung jemals wieder die Hände schütteln würden. Wer in letzter Zeit unter Menschen gekommen ist wird sich fragen, worüber man sich während Corona so alles den Kopf zerbrochen hat.
Besser noch: Verschiedene Maßnahmen, über deren Nutzen sich in der Tat streiten lässt, wie das Covid-Safe-Ticket, fördern vermeintlich kreative Lösungen. Bei Veranstaltungen in Ostbelgien - hört man - sei der Altersschnitt pro forma gestiegen. Denn jüngere Besucher zeigen ungeniert das Impfzertifikat ihrer Eltern oder Großeltern vor. Das ist in etwa so bescheuert, wie auf die Kontaktdatenliste "Donald Duck" zu schreiben - oder die Quarantäne zu umgehen. Wird aber geduldet.
Es will manchen einfach nicht in den Schädel, was eine Epidemie ist und wie sie sich zu verhalten haben. Das war auch bei früheren Seuchen so. Lehren wurden selten daraus gezogen. Der bekannte Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx, der nächste Woche nach Eupen kommt, hatte schon früh hohe Erwartungen an die Welt nach Corona geknüpft. Die musste er schon im Herbst des vergangenen Jahres zurücknehmen, wo er eigentlich die Pandemie als überstanden angenommen hatte. Als Berufsoptimist gibt Horx die Hoffnung nicht auf. Mir kommen so langsam Zweifel.
Stephan Pesch
Mal wieder ein Kommentar, der trotz schwindender Hoffnung,… Hoffnung macht, mit subtiler Ironie, ein wenig Demut und einer deftigen Portion gesunden Menschenverstandes, die Krise überwinden zu können.
Wenn wir - egal ob beim Thema Klimawandel, Corona oder Hochwasserkatastrophe - natürlich so tun, als seien dies alles nur schlechte Träume in der besten aller möglichen Welten, aus denen wir ohne unser Zutun morgen früh fröhlich erwachen oder es reicht ein paar Schuldige (ja, die muss es geben) ans Kreuz zu nageln (sorry für diese blasphemische Metapher, aber es folgen weitere) wird uns wohl selbst Mathias Horx nicht helfen können.
Wer die Werbetrommel für diesen Vortrag- und Diskussionsabend betrachtet - nirgends mehr ist man vor dem Konterfei Horx’ sicher - muss den Eindruck gewinnen, der Messias sei erneut aus seinem Grab gestiegen. Dass er sich in fast allen Prognosen zum Verlauf der Pandemie mächtig geirrt hat zeigt, dass selbst Erlöser auch nur Menschen sind.