Ausgerechnet der Pflegesektor. Und dann noch Corona. Der erste Bürgerdialog wurde gleich mit voller Wucht auf die Probe gestellt. Ein so komplexes Thema zu behandeln, in Zeiten eingeschränkter Bewegungs- und Versammlungsfreiheit, schwieriger hätten die Umstände kaum sein können. Und dennoch liest sich der 15-seitige Text mit Handlungsempfehlungen der Bürgerversammlung wie eine interessante und kluge Bestandsaufnahme. Probleme wurden erkannt, Verbesserungsmöglichkeiten erarbeitet.
Aus Sicht der Bürgerversammlung muss das primäre Ziel sein, die Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen zu verbessern. Konkret heißt das : Bitte weniger lästige Verwaltungsarbeit, damit sich das Pflegepersonal wieder auf die Pflege konzentrieren kann. Denn das ist ihre Berufung.
Dabei ist dieser Anspruch wohl kaum mit einer ganzen Reihe von anderen Empfehlungen der Bürgerversammlung vereinbar. Einige Beispiele: eine Ombudsperson für jede Einrichtung, die Schaffung eines Koordinationsdienstes, die Einführung von internen und externen Qualitätsauswertungen, die Schaffung eines Angehörigen- und Bewohnerrats, die strukturelle Organisation des Ehrenamts in jeder Einrichtung.
Das alles hört sich nicht nach weniger, sondern mehr Verwaltungsarbeit an. Nicht zu vergessen die Computertablets, die an jedem Patientenbett angebracht werden sollen. Tablets, die auch gepflegt, gewartet und vielleicht sogar täglich neu aufgeladen werden müssen.
Wo soll man bei dieser Mehrarbeit das ganze neue Personal finden, das man jetzt schon nicht hat? Die Antwort auf diese Frage liegt nun bei den wahren Entscheidungsträgern. Und die stehen vor einer doppelt schweren Herausforderung. Ein echter Spagat.
Jedem Beteiligten ist klar, dass man nicht das Unmögliche möglich machen wird. Auf der anderen Seite wird der Politik sehr daran gelegen sein, so viele Vorschläge wie möglich umzusetzen. Denn wenn der 'Permanente Bürgerdialog' ein Erfolg werden soll, dann nicht, indem man Bürgerräten und -Versammlungen das Gefühl gibt, eh nichts bewirken zu können - oder noch schlimmer - nicht wirklich gehört zu werden.
Als das gesetzlich verankerte Mitspracherecht beschlossen wurde, war man im Eupener Parlament voll des Lobes. Diese Form von aktiver Bürgerpartizipation sei in Europa einmalig, hieß es, als Medien aus In- und Ausland mit Bewunderung auf das "Ostbelgien-Modell" schauten.
Der flämische Autor und Historiker David van Reybrouck, ein erklärter Befürworter und Promotor von Bürger-Partizipations-Initiativen und Berater der DG in dieser Frage, wird jedenfalls so oder so zufrieden sein. Um aus Fehlern zu lernen, müsse man erst welche machen, war sein Credo.
Ein schöner und positiver Gedanke. Aber er muss die Fehler ja auch nicht machen.
Manuel Zimmermann
Danke für den Kommentar, Herr Zimmermann.
Dieser Bürgerdialog ist auch nur ein zusätzlicher Beirat, der Dokumente erstellt. Und es können nur die mitmachen, die es sich irgendwie erlauben können. Es ist die falsche Reaktion auf das Problem der fehlenden Bürgerbeteiligung. Der Bürgerdialog ist nur eine Scheinlösung. Besser wären Volksabstimmung und -Befragungen nach Schweizer Modell. Da kann sich jeder beteiligen.