Nun ist er also angebrochen: der Monat der Wahrheit. Wobei das mit der Wahrheit nicht so ernst zu nehmen ist. Gerade in der Politik gibt es durchaus mehrere mögliche Wahrheiten. Nur möchte ich sie gerne kennenlernen, um aus-wählen zu können.
Bisher habe ich vor allem Fotos wahrgenommen von Kandidaten. Und hier und da, am Straßenrand, auch eine neue Form des politischen Plakats - wo es zum Beispiel um Fachkräftemangel geht. Oder um die vielfach wohltuende Wirkung von Leitungswasser.
Immerhin das. Die kommenden vier Wochen werden noch ausreichend Gelegenheit bieten, das zu vertiefen.
Darum will ich an dieser Stelle einmal sagen, was ich nicht brauche: Ich will nicht wissen, welcher Minister besser kickert oder kocht. In meinen schlimmsten Vorstellungen sehe ich Politiker, die, mit der Grillzange bewaffnet, Koteletts und Bratwürste servieren, in Schürzen, die mit dem Parteilogo und einem flotten Spruch bedruckt wurden.
Ich brauche auch keine flachen Botschaften auf Bierdeckeln - und dachte immer, solche Gadgets seien eigentlich verboten. Ich brauche keine leeren Versprechungen. Dann schon lieber Vorschläge, die beziffert werden können, so wie es das föderale Planbüro gerade für geplante Steuer- oder Rentenreformen getan hat. Ich brauche keinen Wahlkampf über die vergangenen fünf Jahre. Vielmehr wünsche ich mir Visionen für die nächsten 30 Jahre. Wer sie dann umsetzt, steht auf einem anderen Blatt.
Vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron und seiner Antwort auf den anhaltenden Protest der Gelbwesten kann man halten, was man will. Wohltuend fand ich seine Antwort auf die geschickt selbst inszenierte Frage, ob er 2022 noch einmal kandidiere: "Je me fiche de la prochaine élection", sagte er. Monsieur le Président pfeift auf die nächste Wahl. Stattdessen will er mit Leidenschaft erfolgreich zu Ende bringen, was er angefangen hat.
Stephan Pesch