In früheren Zeiten war es gang und gäbe, dass Honoratioren ihren Namen auf Kirchenbänken verewigen ließen. So konnten sie ihren Platzanspruch geltend machen - in der Kirche, in der Gesellschaft und für alle Fälle auch im Jenseits.
Als französische Milliardäre am Montag mit vollmundigen Spendenversprechen zum Wiederaufbau von Notre Dame de Paris gezielt an die Öffentlichkeit traten, noch ehe der Brand in der Kathedrale gelöscht war, erinnerte das an Ablasshandel.
Unappetitlich, das wohltäterische Hochbieten von Großverdienern, die kein Schlupfloch auslassen, um Vater Staat zu prellen - wegen der kulturellen Dimension auch diesmal mit der Aussicht auf großzügige Steuerbefreiung, was aber einer von ihnen schon ausgeschlagen hat, "um den französischen Steuerzahler nicht zu schädigen". Würde sich diese Einsicht nur dauerhaft durchsetzen - die Gilets Jaunes hätten weniger Grund zur "grogne" und "indignation".
Etwas überraschender die geteilte Empörung angesichts der auch im französischen Volk verbreiteten Spendenbereitschaft zum raschen Wiederaufbau der Kathedrale. Der Wahlspruch "Menschen statt Steine" nimmt in Zeiten moderner Medien das Gesicht eines Hunger leidenden Kindes in Afrika an.
Wie kann man im Wissen um das Elend auf der Welt Millionen in ein Gebäude aus dem Mittelalter stecken? Die Frage ist berechtigt. Die Gegenüberstellung problematisch. Menschliches Leben lässt sich nicht gegen andere Werte verrechnen, es lässt sich nicht einmal gegeneinander aufwiegen. Das ist eine philosophische Erkenntnis und eine zutiefst religiöse Überzeugung.
Die Not von Menschen, ob in Afrika oder vor unserer Haustür, kann mit Hilfe von Spenden gelindert werden. Auf Dauer helfen nur strukturelle Lösungen.
Bleibt die Frage, was uns die Steine wert sind. Die Pariser Kathedrale gilt seit 40 Jahren als Weltkulturerbe - als etwas, das es zu schützen gilt. Um der Gewohnheit willen? Oder wegen ihrer religiösen Bedeutung?
Die Endzeitpropheten, die in dem Brand ein Zeichen für den Niedergang des christlichen Abendlandes sehen wollen, können nicht ernst genommen werden. Schon eher diejenigen, die den Wiederaufbau der Touristenattraktion nutzen wollen, um auch über die Nutzung nachzudenken - warum nicht als Symbol einer offenen Gesellschaft, wie sie Frankreich (und andere Länder Westeuropas) heutzutage ausmacht.
Die Diskussion, die jetzt symbolträchtig im Großen geführt wird, erwartet uns weniger spektakulär, aber vielleicht nicht weniger aufgeladen im Kleinen, wenn es darum geht, wie auf Dauer die Kirchen und Kapellen bei uns erhalten werden sollen.
Die Ausgangslage ist klar: Weniger Kirchgänger, weniger Priester, weniger Geld in öffentlichen Kassen. Das ist dann erst einmal eine Diskussion zwischen Gemeindepolitikern auf der einen Seite sowie Kirchenvertretern und kirchlich engagierten Laien auf der anderen Seite. Der etwas überholte und sperrige Begriff von der Kirchenfabrik passt da sogar sehr gut, weil er beinhaltet, dass aus jeder Situation etwas Neues entstehen kann.
Stephan Pesch