"Einfache Lösungen gibt es nicht". In den letzten Tagen konnte man fast den Eindruck haben, dass dieser Satz quasi zum Wahlslogan der N-VA geworden ist. Nach Innenminister Jan Jambon hat ihn später auch N-VA-Chef Bart De Wever in den Mund genommen.
Ausgerechnet die N-VA, ausgerechnet die Partei von Theo Francken, der doch auf Twitter in den letzten Jahren immer gerne so getan hat, als wäre alles doch eigentlich ganz einfach, wenn denn nur die richtigen Leute am Ruder sind, Leute wie er, versteht sich. Leute, die durchgreifen, die mal "aufräumen", wie er es gerne nennt.
Dieser selbst kreierte Mythos ist in den letzten Tagen doch ziemlich in Scherben gefallen: Kleinlaut musste Francken einräumen, dass in seinem Zuständigkeitsbereich 32 Illegale auf freien Fuß gesetzt wurden, die in der Vergangenheit straffällig geworden waren. Wäre so etwas einem anderen Staatssekretär passiert, Francken hätte sich wohl noch beeilt, um der erste zu sein, der dessen Rücktritt fordert.
Und auch, wenn man sich die Entstehungsgeschichte des Patzers anschaut, sieht man nicht wirklich das Bild eines "Machers". Freigelassen wurden die Illegalen nämlich, um Platz zu schaffen für Transitmigranten. Das musste plötzlich schnell gehen. Denn irgendwie konnte es in letzter Zeit so aussehen, als sei diese Problematik der N-VA inzwischen über den Kopf gewachsen.
Es ist ja so: In den letzten Wochen gab's eine Serie von Vorfällen rund um die Problematik der Transitmigration. Allen voran natürlich der Tod der kleinen Mawda. Daneben aber auch allerlei Delikte rund um die Autobahnparkplätze und den Brüsseler Maximilianpark: gewaltsame Übergriffe, Messerstechereien, auch Schüsse sind gefallen, ganz abgesehen von den Sachschäden, die an den LKW entstehen, wenn Transitmigranten versuchen, sich im Laderaum zu verstecken.
Im Grunde war es die N-VA selbst, die den Scheinwerfer auf die Thematik gelenkt hatte. Um am 14. Oktober möglichst viele Rathäuser in Flandern zu erobern, hatte die Partei von Bart De Wever die Kommunalwahl mit einer "nationalen Soße" übergossen. Man wollte mit Themen wie Identität und Einwanderung beim Wähler punkten, von der Aura von Leuten wie Francken oder Jambon großflächig profitieren. Wenn dann aber plötzlich der Eindruck entsteht, dass eben diese beiden auf dem Terrain zu versagen scheinen, dann kann man natürlich schnell auch zum Opfer dieser Strategie werden. Und das erklärt wohl auch den Panikfußball.
"Einfache Lösungen gibt es nicht": Wahrscheinlich ist der Satz denn auch weniger eine Einsicht, sondern wohl eher eine Art Ausrede. Aber der Satz steht immerhin im Raum. Und das ist umso wichtiger, wenn er doch eben von denen kommt, die bislang das Gegenteil behauptet haben, den Bürgern immer mal wieder Sätze aufgetischt haben, die mit den Worten beginnen: "Man muss doch nur...".
Wenn man aber länger hingehört hat, dann gab es da auch noch einen zweiten Halbsatz: "Einfache Lösungen gibt es nicht, weil... Weil Belgien keine Insel ist. Jambon verwies darauf, dass mindestens ein Teil der Lösung auf der "internationalen Ebene" angesiedelt sei. Das war noch diplomatisch formuliert. Sein Parteichef Bart De Wever war da weniger höflich und zeigte - wie die Orbans und Salvinis dieser Welt - demonstrativ auf Europa.
Die Frage ist allerdings, wie man das tut. Jeder nationale Verantwortungsträger, der auf die EU zeigt, der vergisst nämlich oft genug, dass er in jedem Fall Teil der Lösung ist, manchmal aber auch Teil des Problems. In der Flüchtlingspolitik wie in vielen anderen Bereichen sprechen wir hier nämlich nicht von der Kommission, sondern vom Ministerrat. Und das sind die Staats- und Regierungschefs, die Länder. Und solange Länder wie Ungarn oder Polen in der Frage der fairen Verteilung der Migranten auf der Bremse stehen und prinzipiell alles blockieren, solange wird es keinen gemeinsamen Ansatz geben.
Das Schlimme und Zynische dabei ist: Das Ganze fühlt sich an wie eine klassische "selbsterfüllende Prophezeiung": Die EU ist im Moment machtlos, weil einzelne Staaten mauern. Je länger die EU machtlos erscheint, desto mehr Menschen sind der Ansicht, dass die EU keinen Mehrwert darstellt. Und die Politiker, die Migration prinzipiell für eine Bedrohung halten und die aufgrund dessen jegliche Einigung blockieren, tragen zu allem Überfluss noch dazu bei, dass auch anderswo die Zahl derer wächst, die Migration kritisch sehen. Kurz und knapp: Die mangelnde Solidarität Einzelner sorgt dafür, dass insgesamt die Bereitschaft zur Solidarität abnimmt. Ein Teufelskreis - zumal die Differenzen unter den Mitgliedstaaten bei jedem Gipfel eher noch größer zu werden scheinen.
Immerhin sieht die Zeitung De Standaard Anzeichen dafür, dass auch unter den EU-Staats- und Regierungschefs die Einsicht wächst, dass es eben auch auf ihrer Ebene keine "einfachen Lösungen" gibt. Kein Zaun ist auf Dauer hoch, kein Meer tief genug, um Menschen abzuhalten. Wer an eine Festung Europa glaubt, der lügt sich was vor. Oder er hat eine Agenda, die mit einem demokratischen Rechtsstaat nichts mehr zu tun hat.
Davon ausgehend wird es eben auf Dauer nicht ohne Solidarität gehen. Premierminister Charles Michel verwies zu Recht darauf, dass anderenfalls auch irgendwann der Schengenraum in Gefahr gerät, die Reisefreiheit. Für ein kleines Land wie Belgien wäre eine Wiedergeburt der Binnengrenzen der Gau.
Ein berühmtes Zitat von Benjamin Franklin wirkt bei alledem moderner denn je: "Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren".
Roger Pint