Chemnitz: Straßenproteste. Einige Neonazis werden dabei gefilmt, wie sie den Hitlergruß zeigen - Ausgerechnet in Deutschland.
Aarschot: Ein 15-jähriger Junge wird im Bahnhof auf die Gleise gestoßen. Täter sind ein Mann und zwei Frauen. Motiv ist wohl, dass der Jugendliche schwarz ist.
Anderlues, Anfang des Sommers: Eine junge Muslima wird von zwei Unbekannten attackiert. Sie reißen der Frau das Kopftuch ab und fügen ihr zahlreiche Schnittwunden zu.
August: Auf dem Pukkelpop-Festival verhöhnen junge Männer zwei schwarze junge Frauen mit Gesängen über den Kongo und die, Zitat, "abgeschnittenen Hände", als Verweis auf eine barbarische Praxis der belgischen Kolonialisten.
Die Geschmacklosigkeit wird in dieser Woche nochmal weit übertroffen, als die VRT Bilder zeigt, die aus einem geheimen Forum der Jugendorganisation "Schild en Vrienden" stammen. Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Verherrlichung von Nazi-Größen und des Ku-Klux-Klans. Viele der rund 67.000 Posts in besagter Chat-Gruppe waren richtiggehend unerträglich und zeugen von einer zutiefst menschenverachtenden Gesinnung.
Dann, ebenfalls in dieser Woche: Eine Wettermoderatorin der RTBF, die in einem Internet-Video mit den Tränen ringt. Cécile Djunga schildert dabei, wie sie seit einem Jahr, seit sie den Wetterbericht präsentiert, gemobbt wird. Gemobbt ist gar kein Ausdruck. Rassistische Anfeindungen sind es, nach dem Motto "Verschwinde zurück in Dein Land".
Die Liste ist leider bestimmt nicht vollständig. Viele rassistisch motivierte Vorfälle kommen gar nicht erst ans Licht. Cécile Djunga etwa ist erst an die Öffentlichkeit gegangen, als sie es nicht mehr ertragen konnte.
"Der Damm hat sichtbare Risse bekommen", warnen am Freitag wörtlich oder sinngemäß mehrere Leitartikler. Besagter Damm, das ist aber nicht der angebliche Schutzwall aus "Politischer Korrektheit", den das angebliche Establishment errichtet hat, unterstützt von der angeblichen "Regimepresse", nicht jene Mauer, die das angebliche "System" schützt, angeblich vor seinem jetzt endlich emanzipierten Volk, das sein Schicksal selbst in die Hand nehmen und das angeblich bedrohte Abendland schützen will. So verklärt wollen es ja zumindest immer Populisten und Verschwörungstheoretiker darstellen. Nein, dieser Damm, der schützt uns vor der Barbarei.
Spätestens, wenn man sich -was nicht leicht ist- mit der Gedankenwelt von Rechtsradikalen wie den jungen Männern von "Schild en Vrienden" auseinandersetzt, spätestens dann bekommt man eine Idee, was damit gemeint sein könnte: Ablehnung. Ablehnung von Menschen anderer Hautfarbe oder anderer Religion, Ablehnung von Frauenrechten, Ablehnung von Homosexuellen, Anderslebenden, Andersdenkenden. Eine schneeweiße Machowelt im Gleichschritt, Faschismus in Reinform. Propagiert von scheinbaren Traumschwiegersöhnen aus anscheinend gutem Hause. Man könnte auch sagen: Verwöhnte Milchbubis mit Allmachtsphantasien und zudem einem Hang zu Schnellfeuergewehren.
Das Ganze ist so krass und konsequent, das dort zelebrierte Weltbild ist derart menschenverachtend und gewaltverherrlichend, dass man das alles aber auch nicht mehr als Jugendsünde abtun kann, als zwar geschmacklose aber doch letztlich nicht ernst gemeinte Dummjungenstreiche. Derlei Versuche der Relativierung, die wuchern nur so im Netz. Oft in Form einer Frage, eingeleitet mit den Worten "Aber, was ist denn mit?". Mit den ausgestreckten rechten Armen von Demonstranten in Chemnitz oder mit den faschistischen Inhalten der Posts von Schild en Vrienden konfrontiert, reagiert so mancher mit den Worten: "Aber, was ist denn mit...", und dann wahlweise: ...den Linksextremisten, ...den "kriminellen" Ausländern, ...den Islamisten... Whataboutism, nennt das der Angelsachse: Statt über das eigentliche Thema zu sprechen, sucht man einen Vergleich mit anderen tatsächlichen oder manchmal auch nur angeblichen Missständen oder Problemen. So lenkt man vom Ereignis ab, beziehungsweise tut so, als relativiere es sich.
Eine besonders zynische Form dieser Taktik ist das, was man Täter-Opfer-Umkehr nennt. Wenn man also dem Opfer ein problematisches Verhalten (...) nachweisen oder andichten kann, um es so aussehen zu lassen, als sei das Opfer selbst schuld, beziehungsweise selbst nicht besser als die Aggressoren.
Schluss damit! Wenn man Rechtsextremisten an den Pranger stellt, Leute, die Menschen mit Migrationshintergrund anfeinden, die sogar die Naziherrschaft verherrlichen, dann heißt das nicht, dass man dafür Gewalt aus linksextremen Kreisen oder gar islamistische Terroranschläge als weniger schlimm oder weniger prioritär betrachtet, vielleicht sogar verharmlost oder im Stillen akzeptiert! Nein, jede Form von Extremismus gehört gleichermaßen verurteilt. Auch Rassismus. Und auch der "weiße" Rassismus.
Und da darf es keine Relativierung, kein Pardon geben, kein "Aber, was ist denn mit...". Rassismus und Anstiftung zur Diskriminierung gehören geahndet. Die entsprechenden Gesetze gibt es, sie werden nur viel zu selten angewandt. Ganze 19 Verurteilungen gab es im vergangenen Jahr wegen Rassismus. Wenn man sich anschaut, was im Internet los ist, dann ist das ebenso lächerlich wie tragisch.
Der demokratische Rechtsstaat muss jetzt dagegenhalten. Ein für alle Mal muss klar sein, dass es für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in unserer freien Gesellschaft keinen Platz gibt, geben darf. Keine vermeintliche "Erklärung", keine Kontextualisierung, keine Relativierung kann und darf daran irgendetwas ändern. Nicht vergessen: Wenn der Damm bricht, dann bekommt das früher oder später jeder zu spüren. Denn jeder ist immer der "Fremde" eines anderen.
Roger Pint
Es ist tatsächlich immer beängstigend die letzte Zeit wie schnell der Krebs des Rechtsextremismus , Rassismus,.... um sich greift & wie ein Vergift in unsere Gesellschaft hineindrängt. Ich bin als Flame wirklich erschämt dass viele in Flandern dass auch noch vollkommen normal finden ! Die Facebookseite von 'Schild en Vrienden' hat mittlerweise noch 3500 Mitgliedern mehr mitbekommen seit der Sendung am letzten Mittwoch. Einst ist klar, dass ich in so einer Gesellschaft nicht leben will. Hoffentlich bleibt das alles Ostbelgien erspart !