"Junge Frauen wollen heiraten, ein Haus bauen und Kinder kriegen und haben dann keine Zeit mehr für Politik" - so könnte man eine Aussage von Jean-Marie Cormann im Interview zusammenfassen. Da musste ich erstmal schlucken. Solche ehrlichen und direkten Sätze hört man in der Politik heute selten.
Auf meine ziemlich pikierte Frage, ob er denn da nicht ein sehr traditionelles Rollenbild verbreite, antwortete Jean-Marie Cormann: "Da haben Sie bestimmt recht, aber ist es denn falsch?" Schon wieder so ein ehrlicher Satz. Und schon wieder so ein unbequemer. Denn auch, wenn ich es lieber abgestritten hätte, musste ich mir eingestehen, dass immer noch viele Frauen in meinem Umfeld genau das tun: heiraten, Haus bauen, Kinder kriegen. Mal fällt das Heiraten weg, mal die Kinder, mal das Haus, aber das Schema ist da.
Fakt ist aber auch, dass es viele Frauen in meinem Umfeld gibt, die ganz anders leben und diesem Schema nicht entsprechen. Außerdem ist auch nicht jede Frau mit Kindern, die zuhause bleibt, ein "Heimchen am Herd". Auch Jean-Marie Cormann wollte Frauen nicht abwerten - im Gegenteil: Er betonte mehrmals, dass er für Gleichberechtigung ist, aber gegen die Frauenquote.
Eine Erkenntnis habe ich bei diesem Interview gewonnen: Die Debatte um Gleichberechtigung treibt heute ziemlich absurde Blüten, dabei ist sie meiner Meinung nach eine der wichtigsten gesellschaftlichen Debatten unserer Zeit. Es geht nicht nur um die Gleichberechtigung der Geschlechter, sondern auch um Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlicher Religionen, unterschiedlicher Herkunft oder unterschiedlicher sexueller Orientierung - um nur ganz wenige Beispiele zu nennen.
Wichtig ist, dass in dieser Debatte der Weg das Ziel ist. Es wird nie perfekte Gleichberechtigung geben. Schon alleine, weil sich niemand darauf einigen kann, wann denn alle Menschen gleichberechtigt sind. Wir müssen also daran arbeiten, Ungleichheit Schritt für Schritt zu verringern. Die Suche nach Gleichberechtigung ist wie eine Kurve, die ins Unendliche tendiert. Sie hat kein Ende, aber sie geht immer weiter.
Doch gerade im Moment scheinen viele nicht bereit, den Weg weiter zu gehen. Vielleicht ist es zu bequem, da, wo sie gerade stehen. Man streitet lieber über Worte als über Inhalte. Ist wahrscheinlich logisch, dass in unserer schönen Netzwelt, in der Individualität Voraussetzung zum Überleben ist, eine Debatte über Gleichberechtigung nur noch ad absurdum geführt wird. Beispiel Putzfrau. Deren Arbeitsbedingungen haben sich nicht verbessert, nur weil es jetzt "Reinigungsfachkraft" heißt.
Wir haben verlernt, zu diskutieren, und reden doch die ganze Zeit. Wie "Die Ärzte" singen: “Worte wollen nichts bewegen, Worte tun niemandem weh. Darum lass uns drüber reden, Diskussionen sind ok." Ja, Worte tun heute keinem mehr weh. Politisch korrekt sein heißt auch, Meinungen so zu verpacken, dass sie keiner mehr erkennt. Wir haben Angst vor echten Meinungen. Dabei geht es uns nicht darum, ob wir andere verletzen, sondern wie wir selbst da stehen. Bloß nicht angreifbar sein. Viele Likes mitnehmen. Dankeschön, heile Netzwelt.
"Wir beanspruchen heute nicht nur eine eigene Meinung, sondern auch eine eigene Realität." Das sagt ein ehemaliger Ethikbeauftragter von Google in der Doku "The Cleaners". Eine individuelle Realität, in der wir selbst entscheiden, welche Fakten wahr sind, in der wir auf gewisse Weise Gott spielen dürfen - und doch nur Sklaven einer Berechnung sind. Der Algorithmus sucht aus, was wir sehen. Wir unterwerfen uns, ohne zu wissen, wer oder was diese Macht ist und nach welchen Kriterien sie aussucht.
Eine individuelle Realität, in der wir permanent im Mittelpunkt stehen. Immer posten. Egal was. Hauptsache es gefällt. Und weil die Aufmerksamkeitsspanne kurz und das Angebot überreich ist, bleibt die Auseinandersetzung mit Inhalten auf der Strecke.
Dann schwappen die Verhaltensweisen, die uns die individuelle Netzrealität beigebracht hat, in unseren Alltag über. Wir verlernen zu diskutieren und das nimmt uns als Gesellschaft die Fähigkeit, zu wachsen. Nicht umsonst sind unsere Demokratien gelähmt. Allerdings ist daran nicht das Internet schuld, und auch nicht Facebook. Schuld ist jeder, der sich ohne zu hinterfragen berieseln lässt, der sich hinter Empörung und Angst versteckt, der seine Ideale an die Ironie abgibt.
Es ist also höchste Eisenbahn, nicht nur in der Debatte über Gleichberechtigung, sondern bei jeder gesellschaftlichen Debatte, übertriebene Empfindlichkeiten abzulegen. Kein #Aufschrei für jede unbedachte Äußerung. Stattdessen lieber weiter zuhören. Dinge in ihrem Kontext sehen. Nachdenken. Da muss ich mir auch an die eigene Nase fassen: Nach dem Satz mit den jungen Frauen und dem Haus und den Kindern wäre ich Herrn Cormann gern an den Hals gesprungen. Und zwar ohne nachzufragen, wie er diese Aussage wirklich meint. Keine Sorge, der Mann ist unverletzt. Und ich bin um einige Nuancen in meiner Denkweise reicher.
Anne Kelleter
Werte Frau Kelleter.
Mit diesem Kommentar haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen. In der Tat ist es so, dass "politische Korrektheit" schädlich für die Demokratie ist, die bekanntlich von der Streitkultur lebt. Das sieht man sehr gut beim den Reizthema "Klimaschutz". Vertritt man eine "abweichende" Meinung, wird man fast gekreuzigt.
In zunehmenden Masse verschwinden auch die Unterschiede zwischen den Parteien. Mittlerweile sind die Gemeinsamkeiten grösser als die Unterschiede, so dass man im Prinzip nur eine politische Partei bräuchte. Es wird sich höchstens noch um Posten gestritten, aber nicht mehr um Sachfragen für es sowieso meist nur eine Lösung gibt.
Sehen Sie, Herr Scholzen Eimerscheid, genau wie ich schon vor 30 Jahren vorrausgesagt hatte ohne dass ich ein "Wahrsager" wäre. Damals als das abscheuliche Bashing gegen die Menschen in der DDR und gegen Russland so richtig begonnen wurde öffentlich zu treiben einschließlich kompletter Demontage der nationalen Schwerindustrie, Privatisierung des Sozialstaates und Zubetonierung der Landschaft in Ostdeutschland wie wir hier alle im Fernsehen sehen konnten.
Ich sagte schon damals, dass Westeuropa bzw. die EU in vielen Ländern eine Ein-Parteien-Diktatur hat mit verschiedenen Namen von ein und der selben Partei als Opium für die Bevölkerung, die eine besonders gefährliche Mischung aus Feudalkapitalismus, einigen Elementen des Maoismus (Zerstörung unserer Kultur, RTL, Atheismus), Anarchie und Islamismus (BRD) sowie Nationalismus (Europa) beeinhaltet.
@ M. Scholzen
„Wir beanspruchen heute nicht nur eine eigene Meinung, sondern auch eine eigene Realität.“... Eine individuelle Realität, in der wir selbst entscheiden, welche Fakten wahr sind, in der wir auf gewisse Weise Gott spielen dürfen..."
Haben sie den Kommentar wirklich ganz gelesen Herr Scholzen?
Sie vertreten keine abweichende Meinung sondern "beanspruchen eine eigene Realität".
Der anthropogene Klimawandel ist Fakt und auch der Einfluss von CO2 in diesem Zusammenhang kann ernsthaft nicht mehr geleugnet werden. Sie und ihre Mitstreiter leben in einer Blase, die mit der Realität nichts mehr zu tun hat.
Was ihre Clique bezweckt ist offensichtlich. Und sie wissen dies selbst ganz genau.
@JP Drescher
???
Danke fuer die Antwort Herr Leonard. Dann verraten Sie mir doch bitte, was "meine" Clique beabsichtigt ? (eine Anti-Klima-Verschwoerung?)
Soviel kann ich verraten, ich werde vom FSB, Klu-Klux-Klan und Mossad unterstuetzt.
Schoenen Sonntag noch
Ich hinterlasse prinzipiell nie Kommentare oder äußere mich in elektronischer Weise zu solchen Beiträgen, da wie Sie bereits beschrieben haben die wirkliche Meinung einer Aussage auf diesem Wege nicht beschrieben bzw hinterfragt werden kann.
Und doch fehlt es in der regionalen Presse an solch gut geschriebenen Beiträgen die offen sind und zum Nachdenken anregen!
Daher bitte weiter so Frau Kelleter, wie Sie sehen finden Sie auch Gehör bei jungen Menschen!
mal ein Kommentar zum obigen Text anstelle von immer wiederholten eigenen Meinungen zum Lieblingsthema. Herr Cormann findet vielleicht keine Frauen, weil er eine neue Partei gruenden will, die nicht viel Neues bringt und sehr konservativ sich nur um das eigene `Wir gegen die Andern` kuemmern will. Sehen Sie sich die anderen Parteien in Raeren an, da klappt die Quote prima, auch mit jungen Frauen. Uebrigens zumindest zum Heiraten und Kinderkriegen braucht es immer auch einen Mann, da sieht man schon welches Weltbild Herr Cormann hat. Damit fielen nach seiner Theorie dann ebenso viele Maenner weg, es sei denn, die Frau ist alleine fuer Haus und Kinder zustaendig, derweil der Mann genug Zeit hat, um Politik zu machen. Das Argument liegt schonmal total daneben.
Dankeschön Frau Kelleter, es tut gut echte, gesunde Presse zu lesen.
Also, so echt und gesund finde ich den Kommentar nicht. 2 x sprechen sie von einem `ehrlichen Satz` - uebrigens echt und gesund liegt auf der gleichen Ebene. Ehrlich ist ein sehr positiv besetzter Betriff, OK, man sollte es immer sein, aber Herrn Cormann ging es um dumpfe Parolen. Schon bemerkt ? Raeren zuerst und America First, liegen auf einer Linie, und ich bin ueberzeugt, da hat Herr Cormann sich auch orientiert. Und wuerden Sie das Original auch als ehrlich bezeichnen ?Frustriert war seine Antwort und dumpfe Schelte auf eine Gruppe, die die wichtigste in jeder Geselschaft ist