"Politik ist gesellschaftliches Handeln, welches darauf gerichtet ist, gesellschaftliche Konflikte über Werte verbindlich zu regeln." Dieser Satz stammt von einem der profiliertesten deutschen Politikwissenschaftler: Gerhard Lehmbruch. Er beschreibt damit die vielleicht wichtigste Aufgabe von Politik und ihren Akteuren. Das bedeutet auch, dass die Verständigung auf verbindliche Regeln und deren Festlegung nicht unbedingt auf einen allgemeinen Konsens hinausläuft.
Für Kelmis heißt das: Sowohl beim Aufregerthema Walzinc als auch bei der Frage des Wie einer Kirchplatzumgestaltung kann es nicht gelingen, allen Interessen gerecht zu werden. So sehr sich die politisch Verantwortlichen auch bemühen, am Ende der Entscheidungsprozesse wird es Menschen geben, die sich als Gewinner oder Verlierer fühlen. Bohrungen nach Blei, Zink und anderen Mineralien sind mit Risiken verbunden, die viele mit Recht scheuen. Der unstrittig dringend notwendige Umbau des Kirchplatzes von einem Parkplatz zu einer sozio-kulturellen Begegnungsstätte wird zwangsweise zur Folge haben, dass sich dieser Bereich zumindest teilweise blechfrei präsentiert.
Letztlich ist es eine Frage der Abwägung: Was ist wichtiger, sind die Vorzüge der angepeilten Lösungen so hoch zu bewerten, dass die Nachteile zu vernachlässigen wären?
In Kelmis setzt die politische Mehrheit um Bürgermeister Louis Goebbels jetzt auf die Instrumente Information und Vermittlung. Vielleicht hat sie das nicht in jedem Fall rechtzeitig getan - was allerdings eine Frage der Betrachterperspektive ist. Als drittes Werkzeug kam zuletzt auch das offene Ohr, das Zuhören, hinzu. Und da zeigte sich: Ja, bei konstruktiver Kritik und überzeugend vorgebrachten Anregungen scheint der politische Wille vorhanden zu sein, andere, neue Ideen aufzunehmen und in die Projektplanungen einzubauen.
Flexibilität heißt hier das Zauberwort. Flexibilität, aber nicht populistisches "Nach-dem-Mund-Reden". Zum Beispiel beim Thema Parkraum. Wenn zahlreiche Geschäftsleute um Existenz und Umsatz bangen, weil sie den Wegfall von Parkplätzen fürchten, ist das ernstzunehmen. Das gilt aber genauso für die Einlassungen vieler Bürger, die nicht mehr ständig über Autos reden wollen, sondern über die Chancen, die sich durch eine Umgestaltung des Kirchplatzes ergeben können.
Und ernstzunehmen ist ebenso der Hinweis eines selbstständigen Unternehmers, der seinen Kollegen vom Einzelhandel im Zentrum der Göhlgemeinde rät, nicht ständig den Teufel an die Wand zu malen und mit mehr Selbstbewusstsein ihre geschäftlichen Angebote zu vertreten. Wer sagt denn, dass die Kelmiser zu faul sind, für einen guten Einkauf 200 Meter zu gehen? Wollen die meisten wirklich mit ihrem Pkw am liebsten ins Geschäft fahren, um Zigaretten, Medizin oder Pralinen zu kaufen?
Hier ist dann neben dem Vermitteln von Informationen und dem Streben nach Interessenausgleich vor allem eines von der Politik gefragt: Ehrlichkeit - und die ohne Wenn und Aber. Kelmis hat in den letzten Jahren durchaus an Attraktivität gewonnen, auch durch neue Geschäfte und den Mut ihrer Inhaber. Aber es gibt noch jede Menge Luft nach oben. Sprich: Ein Kirchplatz, auf dem nicht nur geparkt, sondern im besten Sinne gelebt wird - mit Spiel, Spaß und möglichst vielen Begegnungen - dürfte den Aufschwung weiter beflügeln.
Grundvoraussetzung ist jedoch, dass die Pläne Struktur haben, eingebettet sind in ein Gesamtkonzept, das weit über den Kirchplatz hinausgeht. Ein verbindlicher Mobilitätsplan wäre da hilfreich und Verbindlichkeit in jeder Hinsicht, fernab von jeglichem Parteiengezänk.
Rudi Schroeder