Emmanuel Macron und die Europäische Union haben seit Sonntagabend eine große Bringschuld voller Verantwortung. Die entscheidende Frage ist dabei, ob beide liefern, oder ob sie sich gegenseitig blockieren, nach dem Motto "Du musst den ersten Schritt machen, erst dann bewege ich mich auch".
Dass sich die EU bewegen muss, liegt auf der Hand. Mit einer Präsidentin Le Pen hätte die EU diese in die Ecke stellen können, als Aussätzige sozusagen, aber mit Macron als Everybodys Darling geht das nicht. Sicher nicht, nachdem er zwei Drittel des französischen Wählerwillens verkörpert. In der letzten Wahlkampfphase hat er unmissverständlich Änderungen innerhalb der herrschenden EU-Politik gefordert, die innerhalb der Union zu Verwerfungen führt. Geschickt hat er seine Forderungen in die EU-Flagge gewickelt, und nicht wie Le Pen oder Mélenchon herausgeschrien, und im Fall von Marine Le Pen, auch noch ungeschickt. Nein, Macron dürfte nicht handzahm sein für Berlin, nicht für die EU, nicht für die Visegrad-Gruppe und nicht für andere Verweigerer.
Zu erwarten ist, dass von Macron Vorleistung gefordert wird, nach dem Motto, erst Strukturreformen in Frankreich, dann reden wir mal. Es wäre gefährlich für beide Seiten: Macrons Stellung ist, trotz präsidialer Stellung und begeisterter Anhänger, nicht gefestigt: Und ob er es schafft, das Vakuum in der Mitte auszuschöpfen um es mit einer Präsidentenpartei zu besetzen, ähnlich einem Valéry Giscard d'Estaing aus dem prosperierenden Frankreich der späten 1970er, das ist eine noch offene Frage. Das Establishment der Republikaner scharrt mit den Hufen.
Derweil deutet sich in Marine Le Pens Front National ein Flügelkampf an: die Chefin ließ schon einen anderen Namen für die Partei ankündigen. In ihrem kurzen, aber präzisen Statement am Sonntagabend empfahl sie sich als Stimme der Globalisierungsgegner, in "Attac"-Manier. Das dies ihrer deutlich extremeren Nichte Marion nicht gefällt, liegt auf der Hand. Ob es nach dem Vatermord - so Großvater Jean-Marie am Sonntag - zu einem "Tantenmord" kommt, ist nicht ausgeschlossen.
Auch Frauke Petry bei der deutschen AfD hätte nicht gedacht, von einer Alice Weidel rechts überholt zu werden. Neben der Rechten gibt es in Frankreich erstmals wieder eine deutliche Linkspartei, seit Mitterand den seligen Georges Marchais mit dessen parti communiste 1981 ausgebootet hatte. Mélenchon hatte den zweiten Wahlgang zwar verpasst, wurde aber zur drittstärksten Kraft. Zusammen 40 Prozent für Radikal-Rechts und Radikal-Links und eine noch zu bestimmende Mitte, das ist zwar nicht die Vierte Republik, abgeschafft 1958 von De Gaulle, - aber - ruhiges Fahrwasser ist es nicht, auch nicht für Brüssel und die EU-Ministerräte.
Frederik Schunck