Nie war es für den Bürger leichter, sich Gehör zu verschaffen: Diskussionsrunden ohne Ende, Ausschüsse, Einspruchsverfahren, Unterschriftenlisten… Oder über die Medien: in Leserbriefen, Webkommentaren oder eigenen Internet-Blogs.
Von der Möglichkeit, ein Gemeindekollegium während der Sitzungen des Gemeinderates direkt zu interpellieren, macht übrigens niemand Gebrauch. Vielleicht zu viel Arbeit. Anders sieht das bei öffentlichen Bürgerversammlungen aus: hier genügt die spontane Wortmeldung. Dazu sind sie solche Versammlungen ja auch da.
Allerdings wird bei solchen Gelegenheiten häufig aneinander vorbeigeredet. Da werden alte Geschichten aufgewärmt, Schuldzuweisungen gesucht, Argumente gefunden, die belegen, wie Recht man doch hat. Und irgendwann landen solche Bürgerversammlungen verlässlich bei dem Vorwurf: es mangele an Bürgernähe.
Manch einer soll zu solchen Bürgerversammlungen ja nur deswegen gehen, weil er sich davon beste Unterhaltung verspricht. Für diejenigen, die sie veranstalten, ob Politiker, Projektträger oder ausführende Beamte sind sie alles andere als ein Vergnügen.
Aber versetzen wir uns in die Lage der betroffenen Bürger: Über Geschmack lässt sich trefflich streiten, nicht aber über die Bäume in Nachbars Garten. Oder die Windräder. Oder eine Umgehungsstraβe.
Not in my backyard! Nicht in meinem Hinterhof. Sorgen um den Verlust der Lebensqualität, um materielle Einbuβen oder um die Gesundheit, müssen natürlich ernst genommen werden. Werden sie auch in der Regel. Es gibt aber Situationen, in denen berechtigte Anliegen des Einzelnen mit dem Allgemeininteresse im Widerstreit stehen.
Nehmen wir das in dieser Woche bei zwei bewegten Bürgerversammlungen in Espeler und Grüfflingen diskutierte Dauerstreitthema Umgehungsstraβe N62. Das hier etwas geschehen muss, liegt seit 30, 40, 50 Jahren auf der Hand. Und es wird schlimmer. Jede Woche kommt es auf der Strecke, die durch mehrere Dörfer führt, zu Unfällen. Nicht nur im Berufsverkehr stehen einem die Haare zu Berge.
Nun ist solange über Alternativen gebrütet worden, dass schon der Eindruck entstehen musste, dass nur ein Windei herauskommen könne. Auch jetzt, wo die Pläne konkret sind wie nie, zweifeln einige, ob daraus überhaupt etwas wird. Wenn sie denn nicht versuchen, es zu torpedieren.
Aber um das Projekt an sich, das Für und Wider, soll es hier gar nicht gehen, sondern um die Auseinandersetzung damit: Wo man die andere Seite der Lüge bezichtigt, der Inkompetenz oder der Geltungssucht. Um auszudrücken: Ich will das nicht! Oder wenn doch: dann woanders.
Ein Beispiel dafür, wie verquer es laufen kann, zeigte sich beim Informationsabend zur N62 in Espeler. Auf das von politischer Seite vorgetragene Argument, das Dorf werde mit der Umgehung vom Durchgangsverkehr entlastet, hieβ es aus dem Saal: Dreiviertel der Bevölkerung hätten doch diesem Durchgangsverkehr bei der Bürgerbefragung im vergangenen Jahr mit dem "Ja" zur Öffnung der Benzinstraβe zugestimmt. Ätsch, Basisdemokratie.
Sollen Politiker den Bürgern die Entscheidung überlassen? Sollen Politiker ihre Entscheidungen davon abhängig machen, dass sie es allen recht machen? Wer trägt die Verantwortung für eine Entscheidung? Fragen, die sich auch bei ganz anders gelagerten Aufregerthemen stellen: vom vieldiskutierten Rathausplatz in St. Vith über die im Handumdrehen gefällten Blutbuchen in Bütgenbach bis Protest gegen den gemeinsamen Windpark der Gemeinde Büllingen und Amel.
Im Grunde sei es beruhigend zu wissen, dass eine Sache die Gemüter bewegt, war an einer Stelle zu hören. Es zeige, dass sie den Leuten wichtig ist.
Wie ernst es dem Bürger ist mit der Bürgerbeteiligung wird sich zeigen, wenn es wieder darum geht, örtliche Kommissionen zur Ländlichen Entwicklung zu besetzen. Oder Kandidaten zu finden für die kommenden Gemeinderatswahlen. Oder ruhig eine Nummer kleiner: fürs Engagement in einem Verein.
Kontraproduktiv wäre es, diejenigen die sich dafür schon entschieden haben, zu beschimpfen und zu entmutigen. Denn wenn die es nicht machen, wer macht es dann?
Text: Stephan Pesch - Foto: Achim Nelles/BRF
Das sind solche Kommentare die vor lauter Resonanz den Rahmen des Zeitlichen sprengen sollten. Passiert aber nicht. Warum?
Es fehlt an einer Debattenkultur. Ein Fach verehrter Herr Pesch das schon zu Schulzeiten auf dem Speiseplan stehen sollte. Die Artikulationsangst muss vielen erst genommen werden.
Das Beispiel ihrer Straße zeigt vielleicht auch, das im Vorfeld ein einfach verständliches projektbezogenes Faltblatt, an alle Haushalte hätte verschickt werden können, mit der Möglichkeit einige direkten Fragen seitens der Planer, durch einfaches Ankreuzen für gut oder schlecht zu befinden. Da wie wir wissen die Lust dazu bei vielen im Keller bleibt reicht oft ein in Aussicht gestelltes Irgendwas, um doch so manchen mitzunehmen. Zeitgeist angepasstes Agieren ist das A und O