Wie geht es weiter im Staate Belgien, insbesondere mit der Deutschsprachigen Gemeinschaft? Auch darum ging es am Freitag im Eupener Parlament. Dabei fand ein höchst interessanter Meinungsaustausch statt. Aus ostbelgischer Sicht wurden Standpunkte vertreten, die längst bekannt sein dürften.
"Wir sind keine Unterbehörde der Wallonischen Region", sagte Minister-Präsident Oliver Paasch. "Zuständigkeiten, die den Föderalstaat verlassen, dürfen nicht bei der Wallonischen Region landen, sondern bei uns" forderte Karl-Heinz Lambertz.
Klartext reden ist eine Sache. Hoffentlich haben auch alle gut zugehört! Besonders bei Redner Luc Van der Kelen. Der ehemalige Chefredakteur der auflagenstärksten belgischen Tageszeitung Het Laatste Nieuws stellte eine wichtige Frage. Vielleicht sogar die wichtigste Frage überhaupt.
"Wo bleibt die globale Vision für das Belgien von morgen?" Mit dieser Frage legte er den Finger in die Wunde. Staatsreformen seien in Belgien immer die Antwort zur Krisenbeherrschung gewesen. Das Ergebnis sei ein zunehmend geschwächter Föderalstaat.
Der Deutschsprachigen Gemeinschaft und seinen Bürgern gab Van der Kelen noch folgenden Ratschlag: "Sie sind immer ein Vorbild für Belgien gewesen. Aber schneiden sie dieses Band nicht durch."
Dass ein Belgien zu viert, das Ende von Belgien bedeuten könnte, erklärte jedenfalls die N-VA-Politikerin Veerle Wouters. Ihre Logik: Wenn Flandern keinen Einfluss mehr auf eine autonome Hauptstadtregion Brüssel ausüben kann, warum sollte es überhaupt noch an diesem Staat festhalten?
Wouters Bemerkungen zur Deutschsprachigen Gemeinschaft waren im Ton freundlich und mit Sicherheit durchdacht. Eine echte und gerechte Autonomie gebe es für die Deutschsprachige Gemeinschaft nicht. Und solange Staatsreformen auf föderaler Ebene entschieden werden, könne die DG nicht wirklich über ihr Schicksal bestimmen.
Doch Vorsicht! Den flämischen Nationalisten geht es nicht in erster Linie darum, der DG schöne Augen zu machen, in dem sie den deutschsprachigen Belgiern eine Opferrolle zuspricht. Die eigentliche Botschaft ihres ganzen Redebeitrags kann man so zusammenfassen: Der Staat Belgien funktioniert nicht und er wird es auch bestimmt nie tun.
Nun kann man den Hardlinern der N-VA nicht vorwerfen, keine globale Vision für Belgien zu haben: nämlich langfristig ein unabhängiges Flandern. Und der Rest kann schauen wo er bleibt.
Wer aber denkt, die Partei sei nach den öffentlichen Streitigkeiten zwischen Hardlinern und dem Realpolitiker De Wever geschwächt, der könnte sich täuschen. De Wever verfolgt nicht nur ein Ziel, er hat auch mit Sicherheit einen Plan. Besser gesagt: gleich zwei Pläne oder Optionen.
Wenn er eine weitere Staatsreform nach den nächsten Wahlen nicht erzwingen kann, dann hofft er, dass die wallonischen Sozialisten nach einer weiteren Oppositionskur langsam die Lust an einem Status quo verlieren und selber um eine neue Staatsreform bitten werden, damit die Regionen noch mehr Autonomie erhalten.
Auch als Historiker weiß De Wever nur zu gut, dass die Sozialisten alle sechs bisherigen Staatsreformen mitgetragen haben. Ohne sie geht es bei ähnlicher Sitzverteilung auch zukünftig nicht.
Aus ostbelgischer Sicht kann man nur eine Hoffnung aussprechen: dass Van der Kelens Frage nach der Vision für das Belgien von morgen Gehör findet.
Dass die Europäische Union vor allem ein Friedensprojekt ist, das wird in letzter Zeit bei aller Kritik immer wieder betont. Das Kolloquium in Eupen erinnert uns daran, dass die belgischen Staatsreformen leider nur ein Friedensprozess statt ein Friedensprojekt gewesen sind. Da fragt sich nicht nur Van der Kelen, wo für Belgien das Licht am Ende des Tunnels ist.
Noch ist es bequem in den einzelnen Abteilen!
Manuel Zimmermann - Bild: Achim Nelles/BRF