Caterpillar, AXA, P&V, aber auch Douwe Egberts, IBM oder MS Mode: Die Liste der Unternehmen, die umstrukturieren oder gleich ganze Werke schließen wollen, sie wird immer länger. Allein seit Anfang des Monats sind schon 4.200 Arbeitsplätze über die Klinge gesprungen.
Und das ist womöglich noch nicht das Ende der Fahnenstange. Über der ING-Bank etwa hängen ebenfalls düstere Wolken, laut Gerüchten sind hier bis zu 1.000 Jobs bedroht.
Was ist da los?, mag man sich fragen. Zumal die Serie der Hiobsbotschaften fast aus heiterem Himmel zu kommen scheint. Experten sind ihrerseits nur bedingt überrascht: Viele Betriebe würden nunmal gerade jetzt ihre Haushaltspläne für das kommende Jahr fertigstellen, entsprechend würden jetzt eben auch die "strategischen" Entscheidungen getroffen, heißt es da. Das allerdings liefert allenfalls eine Erklärung für das Timing, nicht für die Gründe der Entlassungen.
Nun, man kann sich darauf beschränken, das "System" als Alleinschuldigen auszumachen. Tatsächlich verbirgt sich auch hinter vielen dieser Umstrukturierungen die rein merkantile, zynische Profitlogik, die allein den Aktionären die Rolle des Taktgebers zuschreibt.
Davon ausgehend, dass das System aber bis auf weiteres nunmal so ist, wie es ist, lohnt es sich vielleicht doch, das Objektiv auch mal etwas schärfer zu stellen. Und da stellt man fest: Es gibt nicht das eine "Holzhammerargument", die Gründe für die Entlassungswelle sind vielschichtig.
Im Finanzsektor etwa sind es längst nicht nur die Niedrigzinsen, die den Unternehmen das Leben schwer machen. Überall lauten die Schlagworte auch: "Digitalisierung", "Automatisierung", "Robotisierung". Im Dienstleistungssektor insgesamt bricht jetzt endgültig die Zeit an, in der Computer die Basisaufgaben übernehmen. Und wir, die Kunden, die wir so gerne unsere Bankgeschäfte vom heimischen Sofa aus selbst tätigen, wir helfen den Unternehmen noch dabei, ihre Kosten zu drücken.
Bei Caterpillar oder auch bei Douwe Egberts begründet die Direktion die Schließung der Produktionsniederlassungen mit Faktoren wie "Flexibilisierung" oder "Kostenstraffung". Hier fordert die seit genau acht Jahren dauernde Wirtschaftskrise ihren Tribut. Wegen der Sparpolitik und damit verbunden der schwindenden Kaufkraft der Kunden fahren viele Unternehmen Überkapazitäten.
Bemerkenswert und zugleich beängstigend ist dabei, dass eigentlich so gut wie nicht mehr die "klassischen" belgischen Standortnachteile angeführt werden. Bislang hieß es schnell, die Arbeit sei hierzulande im Vergleich zu den Nachbarländern "zu teuer".
Nach dem Motto "Wenn es nur das ist" hat ja dann auch die Regierung Michel alles dafür getan, die Lohnkosten zu senken, sowohl die Soziallasten als auch die Gehälter an sich. Und genau deswegen ist die Koalition jetzt auch in einer peinlichen Lage. "Wo sind sie denn, die Jobs, Jobs, Jobs?", wetterten schon Linksparteien und Gewerkschaften. "Alles, was wir sehen, das sind "Flops, Flops, Flops".
Und zumindest im stillen Kämmerlein dürfte wohl auch Charles Michel manchmal der eine oder andere Zweifel beschleichen: "Da macht man den Unternehmen schon ein weiches Bettchen, und dann werfen sie doch ihre Mitarbeiter auf die Straße".
Hier muss man allerdings eine entscheidende Nuance anbringen: Wenn im Moment auch tatsächlich eine Massenentlassung die nächste jagt, dann kann die Regierung doch zu Recht darauf verweisen, dass die Gesamtzahl der Arbeitsplätze eigentlich zunimmt.
Und plötzlich kann man vielleicht doch noch einen Roten Faden für die jüngsten Schreckensmeldungen erkennen: Viele der Jobs, die hier wegbrechen, die kann man in dem Segment ansiedeln, das man klassischerweise als die "Untere Mittelschicht" bezeichnet: Industrie-Arbeiter, Finanz-Kaufleute, die Schalterdienste verrichten, insgesamt Menschen, die "durchschnittlich qualifiziert" sind.
Diese Feststellung wird zu einer wirklichen gesellschaftspolitischen Gefahr. Immer mehr scheint sich herauszukristallisieren, dass die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts - grob gesagt - prioritär nur noch zwei Profile benötigt: Entweder Niedrigqualifizierte, die meist über Zeitarbeitsverträge Basisdienstleistungen verrichten, oder hochqualifizierte Leute, die insbesondere im IT-Sektor kreative, innovative und zugleich benutzerfreundliche Softwarelösungen entwickeln.
Erfordernisse einer hochtechnisierten Konsumgesellschaft, "Zeichen der Zeit", könnte man sagen. Doch darf es bei dieser Feststellung nicht bleiben. Wenn großen Teilen der Mittelschicht der soziale Abstieg droht, dann kann das nicht gut gehen. Die Angst, die viele Menschen umzutreiben scheint und die in Teilen den überall aufkeimenden Populismus befeuert, sie ist genau hier angesiedelt.
Genau das hat jetzt anscheinend auch die EU erkannt. "Endlich", muss man sagen. Wenn sie auch - mit Verlaub - stinklangweilig und wenig enthusiastisch war, so enthielt die "Rede zur Lage der Union" von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker doch gleich eine ganze Menge von hoffnungsvollen Einsichten, angefangen mit diesem einen Satz: "Europa ist nicht sozial genug, das müssen wir ändern".
Noch hat die EU die Möglichkeit, den Menschen zu beweisen, dass sie nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung ist. Das allerdings "jetzt oder nie"!
Roger Pint - Bild: Achim Nelles/BRF