Geboren wurde Julia Neigel als Kind von Russlanddeutschen in der westsibirischen Stadt Barnaul. 1971 war sie mit ihren Eltern und ihren vier Geschwistern nach Deutschland gekommen. In Ludwigshafen wollten die Neigels ein neues Leben beginnen.
Für Tochter Julia waren die Anfangsjahre in der neuen Heimat nicht einfach. Doch da war etwas, was ihr Trost und Abwechslung brachte. "Musik war schon für mich als Sechsjährige mein wichtigstes emotionales Ventil, was ich hätte finden können", sagt Jule Neigel heute.
Ihr erstes Instrument war die Blockflöte. Julia zeigte großes Talent, erhielt klassischen Musikunterricht und wurde so gut, dass sie einige "Jugend Musiziert"-Wettbewerbe gewinnen konnte. Ihr Weg in die Klassik schien klar. Doch dann traten vier Herren in das Leben des jungen Mädchens und stellten alles auf den Kopf. Die Beatles wurden für Julia zum Schlüssel in die Welt der Rock- und Popmusik.
Und als eine Band in Ludwigshafen eine Sängerin suchte, war die Teenagerin sofort Feuer und Flamme und ging zur Probe. "Ich sang einen Song von den Beatles, das war das Einzige, was ich konnte. Und dann haben wir das Ganze auf Kassette aufgenommen, ich hörte mich selbst und ich war erstaunt und gleichzeitig fasziniert, dass so etwas geht, dass ich tatsächlich singen könnte."
Und so wurde sie mit süßen 16 Jahren Sängerin in einer Punkband. Danach sattelte sie auf Blues um und stieg schließlich in die Coverband "The Stealers" ein, die Soulhits von Aretha Franklin und Co. spielte, Coversongs von englisch-sprachigen Stücken.
Schatten an der Wand
Doch eines Tages, "da war ich 18 Jahre alt und bekam ein Demo von unserem Keyboarder Axel. Der sagte ganz vorsichtig, hör doch mal rein, schreib doch mal was dazu. Ich war ganz erstaunt, dass er mich gefragt hatte, nahm das Teil mit nach Hause, setzte mich nachts hin und war völlig inspiriert von diesem Groove und es sprudelte nur so aus mir heraus. Ich habe überhaupt nicht nachgedacht."
"Schatten an der Wand" wird 1988 zum Hit. Die "Jule Neigel Band" zum Aufsteiger des Jahres und ihre Sängerin zum Star und zu einer der besten Songtexterinnen der deutschsprachigen Musikszene. "Für mich sind alle Themen, die man lebt, die man als Mensch empfindet, auch ein Thema, über das man schreiben kann, weil ich doch seelischen Exhibitionismus betreibe, wenn ich Texte. Das heißt, ich lasse sehr viele Emotionen zu und bringe sie auf Papier."
Texte schreibt sie nach wie vor. Auch für Kollegen wie Peter Maffay. Von ihrer Stammband hat sie sich schon vor Jahren getrennt und die ganz großen Erfolge sind nur noch Erinnerung, aber dennoch steht auch für die 50-jährige Julia Neigel fest: "Es ist sehr, sehr wichtig für meine innere Zufriedenheit, dass ich Musik machen darf."
Alfried Schmitz