Puccinis "La Bohème" in Antwerpen
Wenn eine Operninszenierung auch nach 22 Jahren nichts an ihrer Intensität verloren hat, dann darf man von einem Geniestreich sprechen. Das trifft auf die Produktion des kanadischen Regisseurs Robert Carsen von Puccinis "La Bohème" in Antwerpen zu. Weihnachten 1993 erlebte die Aufführung ihre erste Premiere, jetzt ging diese "Bohème" zum vierten Mal in Serie.
Die Bilder, die Carsen damals schuf, sind heute noch von dramatischer Wahrhaftigkeit. Denn das ist die Stärke dieser Produktion: Carsen verfällt nie in kitschige Klischees, bei ihm ist das Bohémien-Leben tatsächlich armselig, am Rande des Abgrunds.
Es geht los in der trostlosen Mansarde, in der Mimi erstmals dem Poeten Rodolfo begegnet. Welch ein Kontrast dann der zweite Akt vor dem Café Momus. Wie Carsen hier das überschäumende Treiben durchgehend choreographiert, ist eine Meisterleistung der Personenführung. Ob Chor, Kinderchor, Statisten oder Solisten, jeder weiß welche Bewegung er zu welchem Zeitpunkt machen muss. Dabei wirkt alles so unglaublich natürlich. Das ist ein wahres Fest. Und wenn Mimi im Kreis ihrer Freunde im abschließenden vierten Akt stirbt, dann ist die kleine Künstlermansarde von einem riesigen gelben Blumenmeer umgeben.
Besonders erwähnenswert ist auch die Lichtgestaltung, die allen Szenen eine ganz eigene Stimmung verleiht. Diese "Bohème" ist zum Klassiker geworden, die jedes Mal dank der neuen Sänger eine neue Note bekommt. Die Flämische Oper hat ein junges Solistenteam verpflichten können, das aufgrund der zahlreichen Aufführungen - bis zum 20. Januar steht die Produktion noch 17 Mal auf dem Spielplan in Antwerpen und Gent - in den Hauptpartien alterniert. Die musikalische Leitung von Antonio Fogliani ist dem Werk entsprechend zupackend, ja kraftvoll und Kontraste setzend.
Humperdincks "Hänsel und Gretel" in der Brüsseler Monnaie
Wenn eine Oper als die Weihnachts- oder Kinderoper gelten darf, dann ist dies "Hänsel und Gretel". Zumindest gilt dies für den deutschsprachigen Raum. Ganz anders in Brüssel. Selbst lang gediente Orchestermitglieder können sich nicht daran erinnern, Humperdincks Märchenoper jemals gespielt zu haben. Jetzt ist es mit leider nur vier Aufführungen der Fall. In der außerhalb des Stammhauses durchgeführten diesjährigen Saison präsentiert La Monnaie "Hänsel und Gretel" noch bis kommenden Dienstag, 22. Dezember im Palais des Beaux Arts.
Es ist eine wunderschöne Produktion, die eine konzertante Aufführung mit den Bildmitteln des Stummfilms und des Stabpuppenspiels verbindet. Das Orchester, die Solisten und der Kinderchor sind auf der großen Bühne zu sehen. Dahinter wird auf einer Leinwand die Handlung projiziert - meist in Schwarz-Weiß-Bildern, die in einem Nebenraum live produziert werden.
Einige Schauspieler agieren hier in einem gezeichneten Umfeld, in dem auch immer wieder Stabpuppen auftauchen und so ein die Genres übergreifendes Theaterstück oder ein Film entsteht. Dafür zeichnet die Compagnie Manual Cinema verantwortlich. Das ist einfach grandios zu nennen. Dabei belassen sie die Geschichte mit einigen ganz kleinen Aktualisierungen, die aber alles andere als störend sind, in ihrer Ursprünglichkeit.
Das Märchen ist ein Märchen und für Kinder wie für Erwachsene ein wunderschönes Erlebnis. Gesungen wird auf allerhöchstem Niveau. Besonders sticht Georg Nigl als Knusperhexe aus dem Ensemble heraus. Er und Dietrich Henschel als Vater wagen es auch die Figuren nicht nur zu singen, wie es alle anderen Protagonisten sehr eindrucksvoll machen, sondern geben den Personen auch darstellerisch persönliche Gestalt.
Mozarts "Zauberflöte" in der Lütticher Oper
Jetzt steht am Freitag die Wiederaufnahme von Mozarts "Zauberflöte" in der Lütticher Oper an. Es ist die Wiederaufnahme der 2010 noch im Palais Opéra, also dem Zelt gezeigten Produktion der beiden damals sehr jungen Regisseure Cécile Roussat und Julien Libek, die die Geschichte als eine Art Traumsequenz des Tamino erzählten und mit vielen akrobatischen Szenen aufwarteten.
Eine wie ich damals sagte, sehr gelungene Inszenierung, die leider eine Schwäche aufwies: die mangelnde Aussprache der Sänger. "Die Zauberflöte" ist nun mal ein Singspiel, in dem auch gesprochene Dialoge von Bedeutung sind.
Diesmal haben wir eine ganz andere Besetzung unter anderem mit dem Debüt von Anne-Catherine Gillet als Pamina. Das lässt hoffen und wir werden nächste Woche über diese Premiere berichten.
Hans Reul - Bild: Bernard Coutant