Die Handlung der Kammeroper "Powder her face" aus dem Jahre 1993 geht auf eine wahre Geschichte zurück. Die Oper schildert in einzelnen Episoden den Aufstieg und Fall der damals ebenso berühmten wie berüchtigten Margaret Campbell, der Herzogin von Argyll, deren sexuelle Unersättlichkeit und nachfolgende skandalträchtige Scheidung im Jahr 1963 das Gesellschaftsleben in England sehr stark, vor allem medial, beschäftigten. Heute fragt man sich, was daran so skandalös war. Aber wie verriet mir ein Engländer im Anschluss an die Opernpremiere: "Bei uns in England hat man nun mal ein verlogenes Verhältnis zu allen sexuellen Fragen, nach außen hin Prüderie, aber in Wirklichkeit interessiert die Briten dieses Thema brennend."
Thomas Adès war gerade mal 24 Jahre jung als er "Powder her face" komponierte und er zeigt eine sehr facettenreiche Musiksprache. In dieser vielgestaltigen und erstaunlich reifen Partitur finden sich Einflüsse von Music Hall und Jazz, von Kurt Weill über Igor Strawinsky bis zu György Ligeti und dem Tango Nuevo eines Astor Piazzolla.
"Powder her face" ist wie gesagt eine Kammeroper, verlangt ein kleines solistisch besetztes Orchester und vier Solisten, die sich in den genannten Genres zuhause fühlen. Und die Brüsseler Besetzung ist da vorbildhaft. Allen voran Alison Cook, die gesanglich wie auch rein äußerlich auf beeindruckende und berührend packende Weise die Entwicklung der Herzogin auf die Bühne bringt. Aber auch die drei anderen Darsteller stehen ihr in nichts nach. Sie müssen jeweils in verschiedene Rollen schlüpfen. So glänzt Kerstin Avemo sowohl als heißblütige Kellnerin oder aufgetakelte Fernsehmoderatorin. Ebenso überzeugend sind die beiden männlichen Protagonisten Leonardo Capalbo und Peter Coleman-Wright.
Das Orchester spielt unter der Leitung von Alejo Perez auf einer Empore hinter dem Publikum sitzend. Umso erstaunlicher war es da, wie sehr das ganze harmonierte. Eine bravouröse Leistung.
Die Musik von Thomas Adès ist für eine moderne Oper sehr zugänglich. Bei Adès braucht keiner Angst vor zeitgenössischer Musik zu haben. Dieser Mix kann niemanden abschrecken. Im Gegenteil: In ihrer Vielseitigkeit müsste sie vielmehr ein neues auch junges Publikum ansprechen. Dabei ist die Partitur alles andere als simpel gestrickt. Für die Musiker gibt es enorm viel zu tun, und die vermeintliche Einfachheit ergibt sich oft aus komplizierten Einzellinien.
Die Inszenierung ist von Marius Trelinski. Dabei handelt es sich um eine Koproduktion mit dem Theater Wielki in Warschau, ein Haus mit dem die Monnaie schon seit einiger Zeit zusammen arbeitet. Es ist eine sehr cineastische Inszenierung, die den Raum der Hallen von Schaerbeck sehr gut nutzt, mit einigen Projektionen, einer Drehbühne, Auftrittsmöglichkeiten von mehreren Seiten für die Solisten. So entsteht ein visuelles - im positiven Sinne des Wortes - Spektakel, das einen überzeugenden Musiktheaterabend garantiert.
"Powder her face" steht bis zum 3. Oktober auf dem Spielplan. In der BRF-Klassikzeit vom 23. September (auf BRF1) können Sie aus Auszüge aus der Brüsseler Produktion hören.
Hans Reul - Bild: Krzyzstof Bielinski