Charles Trenets "La Mer" von 1946 kennt in Frankreich jedes Kind - und unter dem Titel "Beyond The Sea" auch der Rest der Welt, spätestens seit der charmanten Neufassung von Robbie Williams vor 14 Jahren. Da hätte man erwarten können, dass sich Benjamin Biolay den Chanson-Evergreen für seine Trenet-Hommage nicht entgehen lässt. Ein Hit wäre zumindest in der Heimat programmiert gewesen.
Doch so ist er eben nicht, dieser wohl beste und auch international interessanteste Pop- und Rocksänger aus Frankreich. Für "Trenet" hat sich Biolay ein rundes Dutzend Lieder des 2001 mit 87 Jahren gestorbenen Komponisten vorgenommen - "La Mer" ist nicht dabei. Ganz gegen seine Stil-Vorlieben interpretiert der 42-jährige Pianist mit der zigarettenrauchgegerbten Baritonstimme die Vorlagen als swingenden Zigeuner- oder Bar-Jazz, als romantische Kaffeehaus-Walzer oder tief melancholische Mitternachtsballaden.
Die Auswahl fiel ihm schwer, denn Trenet war ein äußerst fleißiger Schreiber. "Er ist der wichtigste Vertreter des zeitgenössischen französischen Liedes", schwärmte Biolay kürzlich im Interview der Zeitung "Ouest France". "Nachdem ich beschlossen hatte, diese Platte aufzunehmen, habe ich mir 600 seiner Chansons angehört." Das Album erscheint am Freitag (31. Juli) über Barclay/Universal.
Der große Respekt vor dem Riesenwerk hielt ihn offenkundig davon ab, Trenet-Klassiker wie "Revoir Paris", "Le Grand Café" oder "L'Ame Des Poètes" auch nur ansatzweise in einen modernen Kontext zu überführen. Das hatte vermutlich mancher Fan von Biolay erhofft, der nach seinem orchestral aufgeladenen Debüt "Rose Kennedy" (2001) mit den düster-rockigen Doppelalben "Négatif" (2003) und "La Superbe" (2009) zum Erneuerer der französischen Popmusik aufstieg. Doch die Zeitlosigkeit dieser alten Lieder wäre dann wohl verloren gegangen.
Biolay spielt auf "Trenet" neben Klavier auch Geige, Trompete und Posaune, seine Mitstreiter sind Nicolas Fiszman (Gitarre, Bass) und Denis Benarrosh (Schlagzeug). Man merkt dem Trio die Liebe und Begeisterung für den Säulenheiligen des Chansons, aber auch zu Jazz-Legenden wie Chet Baker oder Django Reinhardt in jeder Sekunde an. Am Schluss bringt Biolay mit "La Chanson De Faussaire" gar noch eine eigene Komposition im Stil des großen Vorbildes unter - die definitive Verbeugung vor Trenet.
Warme Streicher- und Bläsersätze runden den Sound eines wunderschönen Albums ab, das den sonst so experimentierfreudigen Benjamin Biolay mal als Traditionalisten präsentiert. "Trenet" dürfte in diesem Sommer und Herbst für viele Paris-Besucher den musikalischen Hintergrund eines entspannten Bistro-Abends liefern. Denn französischer geht's nun wirklich nicht mehr.
Von Werner Herpell, dpa - Bild: Martial Trezzini/AFP