In der Brüsseler Oper La Monnaie steht in dieser Woche mit "Jakob Lenz" von Wolfgang Rihm ein weiterer Höhepunkt auf dem Programm. Jakob Lenz war Dichter, in jungen Jahren mit Goethe befreundet, dann kam es zum Zerwürfnis und Lenz zweifelt und verzweifelt an seiner Kunst. Niemand konnte ihm helfen, weder der sanftmütige Pfarrer Oberlin noch der vermeintliche Mediziner Kaufmann. Lenz ging an seiner Schizophrenie zugrunde.
Georg Büchner hat dieser Figur eine Novelle gewidmet, die Wolfgang Rihm 1977 als Vorlage zu einer Kammeroper diente. Aber es ist nicht nur der Büchner-Text, den Rihm mit damals gerade mal 25 Jahren vertonte, sondern es sind auch Auszüge aus Briefen von Jakob Lenz.
In dreizehn Bildern erzählt Rihm die Geschichte, dreizehn Bilder, die in einem bedrückenden, schwarz-weißen Bühnenbild spielen, das jeweils den Szenen entsprechend etwas anders gestaltet ist, und von den Bühnentechnikern der Monnaie während der kurzen Orchesterzwischenspiele im totalen Dunklen virtuos umgebaut wird. Zu Beginn klettert Lenz über Felsbrocken, dazu stürzt sein Doppelgänger von der Bühnendecke zu Boden. Später sind wir bei Oberlin in einem muffig wirkenden Zimmer oder in der Heilanstalt. Das ist alles sehr genau von Bühnenbildner Martin Zehetgruber gebaut. Hier lässt sich die Verzweiflung, die Not, die Angst des Jakob Lenz ständig spüren.
Rihm hat Jakob Lenz als Kammeroper komponiert - nur elf Instrumente sind im Orchestergraben - aber er versteht es, ganz unterschiedliche Klangfarben zu erstellen. Mal erinnert die Musik an Alban Berg, der ja Büchners Woyzek als Vorlage zu seiner Oper Wozzeck nahm, mal sind serielle Momente zu erkennen, und dann sind wir in der Welt von Johann Sebastian Bach. Aber das wirkt nie willkürlich, denn immer ist Rihm selber zu spüren. Jakob Lenz ist ein Meisterwerk des Musiktheaters der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts und wird zurecht regelmäßig gespielt.
Aber man kann sich kaum eine Inszenierung vorstellen, die so konsequent, so ergreifend, so genau durchdacht ist, wie jene von Andrea Breth, die jetzt in Brüssel gezeigt wird. Die deutsche Regisseurin zieht die Zuschauer in den Bann der Geschichte und ihres Protagonisten.
Als Zuschauer leidet man fast körperlich mit Lenz, der grandios von Georg Nigl dargestellt, ja gelebt wird. Er wird in einer Art und Weise eins mit Jakob Lenz, wie man es nur selten auf einer Opernbühne erlebt. Er leidet und quält sich, schmerzverzerrt ist sein Gesicht, dann liegt er in einer großen Wandschublade, oder wehrt sich vergeblich in seiner Zwangsjacke. Ein solch körperbetontes Spiel ist atemberaubend und dazu singt Nigl in einer unglaublichen Perfektion.
Auch Henry Waddington als Oberlin und John Graham-Hall als Kaufmann können in ihren Rollen überzeugen. Das gilt auch für die namenlosen Stimmen, die Lenz immer wieder hört und ebenso für das Solistenensemble der Monnaie. Der Dirigent Franck Ollu leitet das Kammerorchester auf eine so präzise und ausdrucksstarke Art, wie man es sich nur wünschen kann.
Dieser „Jakob Lenz" ist ganz großes Musiktheater und wurde am Premierenabend zurecht mit lang anhaltendem Beifall bedacht. Bis kommenden Samstag steht Jakob Lenz auf dem Spielplan von La Monnaie.
Foto: Bernd Uhlig/La Monnaie