In der Spielzeit 1992/93 stand Leonard Bernsteins West Side Story zum letzten Mal auf dem Spielplan des Theaters Aachen. Manch einer erinnert sich sicher noch an diesen Riesenerfolg für den damaligen Intendanten Elmar Ottenthal. Über 50 Mal wurde die West Side Story bei nahezu ausverkauftem Haus gegeben.
Und eines ist sicher: Die aktuelle Produktion hat das Zeug, diesen Erfolg zu wiederholen. Die Premiere am Sonntagabend war grandios und atemberaubend. Das ist keineswegs selbstverständlich, denn jeder kennt die West Side Story, hat den Film vor Augen oder irgendeine Produktion einer amerikanischen Musicalbühne bei ihrer Europa-Tournee gesehen.
Schon die ersten Klänge aus dem Orchestergraben sind vielversprechend. Man spürt, mit welcher Energie und Kompetenz der Dirigent Volker Hiemeyer sein Orchester, das vom krachenden Big Band Sound bis zur zu Herzen gehenden Ballade alles bereit hält und damit Bernstein mehr als gerecht wird, durch die Partitur führt.
Die Bühne ist nahezu leer, da sind nur zwei dunkle Wände, die im Laufe des Abends an Scharnieren verschoben werden und immer neue Blickfelder eröffnen. Diesen Raum braucht es auch, um die rund 40 Darsteller über die Bühne wirbeln zu lassen, denn hier wird gesungen und getanzt. Und wie! Das durchweg junge Team lässt sich nicht bremsen, jagt wie verrückt durch die Tanzszenen und singt dazu auf erfreulich hohem Niveau.
Regisseurin Ewa Teilmans tut gut daran, nicht allzu sehr in die Handlung einzugreifen, und die - leider - immer noch aktuelle Geschichte von den verfeindeten Jugendbanden in klaren Bildern zu erzählen, wie Bernstein sie mit dem Librettisten Jerome Robbins ausgehend von der Romeo und Julia Geschichte nach New York verlegte. Damit ist in Sachen Inszenierung der Choreograph Joost Vrouenraets der Star des Abends. Was hier wie improvisiert wirkt, ist die Folge von schweißtreibender Vorbereitung, die aber ihre Wirkung zeigt
Das Tanzensemble ist international besetzt. Die 24 Tänzerinnen und Tänzer mussten sich bei einem Casting mit 300 Bewerbern durchsetzen. Genau die richtige Wahl, denn solch sprühende Spielfreude hat man in Aachen schon lange nicht mehr gesehen.
Hauptrollen mit eigenen Kräften besetzt
Für die Hauptrollen kann man auf eigene Kräfte zurückgreifen, die allesamt überzeugen. Da wäre zunächst Patricio Arroyo zu erwähnen, der mit wunderbar tenoralem Schmelz die Partie des Tony singt. Camille Schnoor ist eine ebenso schöne wie stimmlich hervorragende Maria, Sanja Radisic zeigt als Anita, dass sie singen, aber auch grandios tanzen kann.
Auch die weiteren Rollen sind mehr als adäquat besetzt. Wie das Orchester schafft es auch die Bühne, die ganze Palette der emotionalen Klangfarben widerzuspiegeln. Ein Kompliment auch an die Technik: die Mikrofonverstärkung der Stimmen klappt hervorragend.
Das Ende des Stücks ist wunderbar umgesetzt: Wenn Tonys Leiche zu den melancholischen Klängen des Finales weggetragen wird, öffnet sich das hintere Bühnentor und wir sehen auf die nachtdunkle Theaterstraße. Die Ampeln und die Rücklichter der Autos sorgen für das stimmungsvolle Bild des Abschiednehmens oder auch des Aufbruchs in eine neue Zeit.
Diese West Side Story sollte sich keiner entgehen lassen. Bis zum 7. Februar sind vorläufig noch 19 Vorstellungen vorgesehen.
Fotos: Ludwig Koerfer