Wer erinnert sich nicht an dieses einzigartig schöne Bühnenbild, das der aus Indien stammende Künstler Anish Kapoor fürdie Aufführung dieser "Pelléas et Mélisande"-Produktion 2008 geschaffen hatte. Es ist ein großes, bühnenfüllendes, sehr organisches Gebilde in warmem Rot-Ton, das ein Ohr, aber auch eine Muschel oder eine Gebärmutter darstellen kann. Diese Skulptur dreht sich oft um die eigene Achse und setzt so immer neue Perspektiven frei. Dabei wird dieser Effekt kongenial unterstützt von einer fein abgestimmten Lichtregie, für die Jean Kalman verantwortlich zeichnet. So entstehen Bilder und Perspektiven, die Raum lassen für die eigene Phantasie des Betrachters und in denen die Sängerinnen und Sänger ihre Stimmungen und Gefühle deutlich machen.
Claude Debussys Oper erzählt ja die geheimnisvolle Geschichte um erfolgten oder vermeintlichen Ehebruch, den Mélisande mit ihrem Schwager Pelléas begangen haben soll oder nicht. Golaud, ihr Ehegatte ist davon überzeugt und tötet, rasend vor Eifersucht, Pelléas. Mélisande verliert sich in ihrer Trauer, bleibt Golaud jede Antwort schuldig und stirbt am Ende der Oper.
Es ist ein psychologisches Drama, das Regisseur Pierre Audi als beeindruckendes Kammerspiel inszeniert, bei dem er den Sängerdarstellern sehr viel Freiheit in der Gestaltung des Ausdrucks überlässt. Da sind zunächst die Interpreten der beiden Brüder, Stéphane Degout als Pelléas und Dietrich Henschel als Golaud, hervorzuheben.
Vor allem Henschels schauspielerische Leistung in Gestik und Mimik bei der Darstellung von Leidenschaft und Verzweiflung ist großartig. Dass Henschel und Degout auch stimmlich allen Ansprüchen gerecht werden, versteht sich von selbst. Das gilt auch für Monica Bacelli, die für Sandrine Piau, die sich bei der Generalprobe verletzte hatte, einsprang. Da zeigt es sich, dass eine Doppelbesetzung bei einer so dichten Aufführungsfolge wie sie für diese Produktion vorgesehen ist, von Vorteil ist. Kleine Abstriche muss man allerdings bei Frode Olsen machen, der sich doch ein ums andere Mal durch die Partie des Vaters Arkel mühte.
Mit besonderer Spannung wurde das Debüt von Ludovic Morlot als Musikdirektor der Monnaie erwartet. Nach mehreren Konzerten stand er nun erstmals im Orchestergraben der Brüsseler Oper und begeisterte mit einem grandiosen Dirigat. Morlot ließ die ganze Sinnlichkeit der Debussy-Partitur aufleuchten, aber auch die dramatischen Momente kamen klangschön und expressiv zum Tragen. Man hatte das Gefühl, Dirigent und Orchester fanden von den ersten Takten an zu einer feinsinnigen Symbiose. Das war ganz großes und auch klar verständliches, glänzend strukturiertes Musiktheater. Morlot hätte sich einen besseren und schöneren Einstand nicht wünschen können und bereits Ende Mai werden wir ihn in einem ganz anderen Repertoire wieder erleben können, nämlich mit Mozarts „Cosi fan tutte".
Aber bis zum 25. April steht nun noch "Pelléas et Mélisande" auf dem Programm.
Bild: Gene Elling / La Monnaie