An ihrem androgynen Look, mit dem sie in den 70er Jahren gegen die Gesellschaft rebellierte, hat sich kaum etwas geändert: Patti Smith trägt ein weißes T-Shirt, einen weiten schwarzen Blazer, um den Hals ein goldenes Kreuz und eine Feder-Kette. An den Füßen: schwarze Lederboots. In ihrem langen zerzausten Haar sind lediglich ein paar graue Strähnen zu sehen. In den Händen hält die inzwischen 65 Jahre alte Kultrockerin das Mastertape ihres neuen Albums "Banga". Das war vor gut einem Monat in London, als sie ihre Platte der internationalen Presse vorstellte. An diesem Freitag steht das Werk auch bei uns in den Läden.
"Natur, Abenteuer und Entdeckungen sind die Themen, die sich durch mein neues Album ziehen", sagt die ehemalige Punk-Ikone mit rauer Stimme. "Banga" beginnt mit Amerigos Reise in die Neue Welt, deckt Kolumbus' Entdeckungsfahrt ab und endet mit einer Cover-Version von Neil Youngs "After The Gold Rush", in der Raumschiffe in eine andere Welt geschickt werden. Den Rock'n'Roll will die 65-Jährige heute nicht mehr retten. "Meine aktuelle Mission ist es, den Leuten bewusst zu machen, wie wichtig es ist, unsere Umwelt zu schützen", sagt Smith. "Ich mache mir große Sorgen, wie es den Bienen in Zukunft gehen wird und was mit unseren Flüssen passieren wird."
Punk und New-Wave
Die einstige Rebellin wirkt heute ruhiger, aber dennoch nicht angepasst. "Es wäre nicht authentisch, wenn ich versuchen würde, mit "Banga" in eine bestimmte Musik-Szene zu passen", erklärt sie. Mit "Horses", dem ersten Longplayer der späteren "Patti Smith Group", wurde die Band 1975 zum Vorläufer und Vorbild der englischen und amerikanischen Punk- und New-Wave-Bewegung. Heute bleibe sie lieber außen vor, auch wenn sie sich von der neuen Generation durchaus respektiert fühle, sagt sie. "Ich hatte meine Zeit. Mittlerweile gehöre ich zu keiner Szene mehr und möchte einfach nur gute Arbeit abliefern."
Musikerin, Fotografin, Malerin und Lyrikerin - es gibt kaum ein kreatives Tätigkeitsfeld, das die Amerikanerin in den vergangenen Jahrzehnten ausgelassen hat. 2010 veröffentlichte Smith das mit dem National Book Award ausgezeichnete Buch "Just Kids", in dem sie ihre Freundschaft und Verbundenheit mit dem Künstler und Fotografen Robert Mapplethorpe und die Auswirkungen auf ihrer beider Leben beschreibt.
"Banga" nahm die Allround-Künstlerin zusammen mit ihrer Band in New York auf. Fünf der zwölf Lieder sind Porträts. In "Amerigo" besingt sie den italienischen Entdecker, nach dem später Amerika benannt wurde. "Seneca" ist ihrem Patenkind gewidmet. Zwei Gedenksongs haben es auf die Platte geschafft: "Maria" für die französische Schauspielerin Maria Schneider und "This Is The Girl" in Erinnerung an die im Juli vergangenen Jahres gestorbene Sängerin Amy Winehouse. Für den Schauspieler Johnny Depp, der am 9. Juni geboren wurde, schrieb sie "Nine", und schenkte es ihm zum Geburtstag.
Intensiv und vielfältig ist "Banga" geworden, wie die Künstlerin selbst. Von sanften Rockballaden über melodische Ouvertüren zu meditativen Stücken und fetzigen Rocksongs mit verzerrten Gitarren deckt Smith alle Bandbreiten ab. Die Stimme der 65-Jährigen ist kräftiger denn je und noch genau so einnehmend wie in ihrem bekanntesten Hit "Gloria", der sie in den 70ern mit einer Mischung aus Gesang und gesprochenen Elementen weltberühmt machte.
"Von meiner Kraft habe ich nichts verloren"
Auch vier Jahrzehnte später denkt Smith noch lange nicht ans Aufhören. Gerade hat sie eine Welttournee begonnen. "Ich bin vielleicht nicht mehr so schnell wie früher, und mein Aussehen hat sich verändert", sagt sie. "Aber von meiner Kraft habe ich nichts verloren. Meine Stimme ist sogar noch stärker geworden." Beweisen müsse sie sich heute nicht mehr. "Cool oder nicht cool, ist mir total egal. Früher wollte ich mich von allem befreien und Wände durchbrechen. Heute reicht es, gegen die Wände zu pusten, um sie zum Einstürzen zu bringen."
Gute Arbeit zu machen sei ihr Schlüssel zum Glück. "Ich kann auf viele tolle Momente zurückblicken. Ich könnte sagen, dass ich am glücklichsten war, als meine Kinder klein waren und mein Mann noch gelebt hat", sagt Smith. "Oder als ich mit Bob Dylan "Dark Eyes" auf der Bühne gesungen und ihm dabei in die Augen geschaut habe. Aber am meisten schätze ich die Gegenwart."
Ein Traum bleibt: ein Kinderbuch zu schreiben. "Ein Buch, das von jedem geliebt wird - wie "Pinocchio" oder "Peter Pan"", sagt Smith. "Das man immer und immer wieder lesen kann. Wenn ich das schaffen würde, dann hätte ich wirklich alles erreicht."
Von Miriam Otterbeck, dpa - Bild: Steven Sebring