Dass eine Wiederaufnahme viel mehr sein kann als nur das Abziehbild einer Erstaufführung, das zeigt die Médée-Produktion der Brüsseler Oper La Monnaie auf eindrucksvolle Art und Weise. Der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski hatte uns 2008 mit seiner Sicht einer verzweifelten Médée berührt.
Jetzt drei Jahre später, mit fast genau der gleichen Besetzung, erscheint uns Médée als noch vielseitiger, hin und her gerissen zwischen Liebe und Rache. Ein wahres Theaterereignis!
Warlikowski erzählt in fast zeitlosen Bildern sehr ruhig und dank einer engagierten Personenführung sehr intensiv die Handlung. Dabei beginnt die Inszenierung noch vor der Ouvertüre. Beim Betreten des Theaterraumes sieht man Videoprojektionen aus den sechziger Jahre: Die vermeintlich heile Welt anhand von Hochzeits- und Festszenen, spielende Kinder auf dem Schulhof, dazu erklingt Popmusik jener Zeit. Ganz langsam taucht man in Kindheitserinnerungen ein.
Das Orchester hebt unvermittelt mit der Ouvertüre an. Christophe Rouset und sein Ensemble "Les talents lyriques" verstehen es gleich mit Engagement und Raffinement die Atmosphäre auch musikalisch zu spiegeln. Dann sind wir auch gleich in der Geschichte, deren Zeitlosigkeit durch neue moderne Sprechsequenzen nur noch unterstrichen wird.
Jason heiratet Dircé, die Tochter Creons, dem König von Korinth. Doch unerwartet taucht Médée wieder auf, die ihm einst zum Goldenen Vlies verhalf und ihm auch zwei Söhne gebar. Das Unheil nimmt seinen Lauf, und am Ende steht Médée mit den blutgetränkten Pyjamas ihrer beiden Söhne ganz alleine auf der Bühne.
Médée, die Warlikowski schon vor drei Jahren als deutlich erkennbare Amy-Winehouse-Kopie auftreten ließ. Die Verzweifelte, die Einsame, die Suchende, wie vorausschauend wahrhaftig war dies schon damals.
Überzeugende Protagonisten
Nadja Michael ist eine unglaublich ausdrucksstarke Médée. Sie überzeugt mit differenzierter und kraftvoller Gesangsstimme, und dies obwohl sie an Halsschmerzen litt, wie Operndirektor Peter De Caluwe dem Premierenpublikum vor Beginn der Vorstellung mitteilen musste. Nadia Michael bringt in Gesang und Spiel die Verzweiflung der Médée in jeder Sekunde auf die Bühne.
Auch die weiteren Protagonisten fühlen sich grandios in das Gesamtgeschehen ein. Hervorheben möchte ich hier Vincent Le Texier als Créon und unser junge Landsfrau Hendrickje Van Kerckhove als Dircé.
So wird die Cherubini-Oper zu einem grandiosen Musiktheaterabend. Médée steht bis zum 22. September auf dem Spielplan von La Monnaie.
Bild: Maarten Vanden Abeele