Die Fernsehserie hat es als Kunstform schwer. Während Meisterwerke eines Picasso, Renoir oder Liechtenstein als Original nur zu festen Öffnungszeiten und mit Ehrfurcht zu betrachten sind, laufen viele exzellente Serien dem Zuschauer spätabends zwischen Rasierklingen-Werbung, müden Shows oder niederschmetternden Weltnachrichten über den Weg - wenn man nicht schon vor der Glotze eingeschlafen ist. Andere starke Serien werden derweil so exzessiv ausgestrahlt, dass sie am Ende totgeritten sind.
Der Taschen-Verlag aus Köln hat dem Genre Fernsehserie jetzt ein Denkmal gesetzt. Autor Jürgen Müller, der für den Verlag bereits Filmklassiker früherer Jahrzehnte zusammenstellte, hat auf knapp 750 Seiten das Beste aus 25 Jahren versammelt und damit indirekt auch eine Epoche ausgerufen - die goldene Ära der Serie.
Von der in Folie gewickelten toten Schülerin Laura Palmer in "Das Geheimnis von Twin Peaks" bis zur fliegenden Hose bei "Breaking Bad": Serien haben sich zu einem bildgewaltigen Kosmos entwickelt, mächtiger als das Kino. Es ist ein klug strukturierter, opulenter Band. Müller arbeitet sich chronologisch vor - von "Die Simpsons" rund um 1990 bis hin zu "Orange Is the New Black" und "True Detective" in der Gegenwart.
Die Zeitschiene ist gerade deswegen so gut gewählt, weil Leser auch anhand der reichen Bebilderung nachvollziehen können, wie sehr eine Serie Mode und Stimmung ihrer Zeit zugleich aufgreift und mitprägt. Wer hat etwa noch vor Augen, dass die Produktion des Echtzeit-Hits "24" - wegen der Paranoia und der Folterszenen so dicht am Puls der Zeit nach dem 11. September 2001 - schon vor "9/11" begonnen hatte?
Müller setzt sich akribisch mit Figuren und Kulissen, aber auch Erzählmustern und Entstehungsgeschichte der Serien auseinander. Wie bei einem Reiseführer unternimmt er Ausflüge in Themen wie "Die Rückblende" anhand von "How I Met Your Mother". Oder er nimmt "Two and a Half Men" zum Anlass, Sitcom-Genie Chuck Lorre vorzustellen. Oder er geht am Beispiel "Sex an the City" auf den Kult um Schuhe ein. Die Fantasyserie "Lost" über einen Flugzeugabsturz über dem Pazifik deutet Müller als Antwort des TV auf die Mobilkommunikation, die es im 21. Jahrhundert jeder Abenteuergeschichte schwer macht.
Ein durch und durch empfehlenswertes Sachbuch. Allein der Preis von 49,99 Euro könnte manchen Fan abschrecken. Dafür bekommt man allerdings auch eine Vier-Kilo-Bibel in Halbleinen.
Jürgen Müller: Die besten TV-Serien.
Taschen Verlag, Köln
744 Seiten, 49,99 Euro
ISBN 978-3-8365-4272-2
Von Christof Bock, dpa - Cover: Taschen Verlag