Twittern ist hipp. Aber im Grunde auch nichts anderes als der Klatsch auf der Dorfstraße. Oder das rosa Poesiealbum, von dem Klein Erna verkündete: "Guck mal, schon 20 Einträge!"
Zu dieser Einschätzung kommen jedenfalls Psychologen und Kommunikationswissenschaftler. Rasend schnell hat sich der aus San Francisco stammende Internetdienst ausgebreitet.
Die Nutzer versenden kurze Textnachrichten von maximal 140 Zeichen und antworten dabei auf die Frage «Was machst du gerade?».
Motto: Omnipräsent sein
Ihr Ehrgeiz besteht darin, möglichst viele Leser - «followers» - um sich zu scharen. «Menschen haben ein großes Bedürfnis, bedeutsam für ihre Mitmenschen zu sein», meint dazu der Kölner Psychologe Prof. Egon Stephan. «Das Aufbauen einer solchen Gemeinde, die mich so ernst nimmt, dass sie alles von mir sofort mitgeteilt bekommt, bedient genau dieses Bedürfnis nach Aufmerksamkeit.»
Wobei für Twitter ja gerade die Mischung aus öffentlichem Forum und privatem Austausch kennzeichnend ist. Man verschickt Einträge an einen ausgewählten Kreis, erscheint damit aber auch auf der Website von Twitter. Zudem strebt man danach, den Kreis der Adressaten immer mehr zu erweitern.
«Und das ist ein Wendepunkt», betont die Kommunikationspsychologin Katrin Döveling von der Freien Universität Berlin. «Es kann hier eine gefühlte Gemeinschaft zwischen eigentlich einander Unbekannten entstehen, die durch diese Kommunikation eine verbindende Plattform des Austauschs finden.»
Allerdings werde das Zwitscher-Programm auch oft kommerziell genutzt, etwa von Trendspottern, die Entwicklungen herausfiltern, und Marketing-Experten.
Eine Welt voller Banalitäten
Was aber ist nun so toll daran, sich den ganzen Tag Banalitäten zuzuschreiben? «Diese Textbotschaften sind im Grunde das, was man sich früher auf der Straße erzählte», meint Döveling. «Heute geht das meist nicht mehr, weil man gerade ganz woanders ist als die Leute, die man kennt.»
Gerade der Austausch von Belanglosigkeiten vermittele das «mediatisierte Gefühl einer virtuellen Intimität» - ein Gefühl der Nähe trotz räumlicher Distanz.
Prof. Peter Vorderer von der Freien Universität Amsterdam ist einer der wenigen Wissenschaftler, die sich bereits mit Twitter beschäftigt haben. Der schnelle Siegeszug überrascht ihn nicht: «Das Neue war schon immer hochattraktiv. Aber befriedigt werden hier ganz alte Bedürfnisse.
Das hat viel damit zu tun, dass man verbunden sein will, und zwar instant-mäßig, sofort und mit jedem. Kein Jugendlicher würde ja heute mehr einen Brief schreiben, bei dem man auf die Antwort tagelang warten muss.»
Prominente wie die Schauspieler Ashton Kutcher und Demi Moore haben die meisten Gefolgsleute - kaum verwunderlich, meint Vorderer: «Man hat dadurch das Gefühl, dass man sie kennt.»
Keine große Zukunft
Dennoch rechnet der Kommunikationswissenschaftler eher nicht damit, dass die Twitter-Begeisterung all zu lange anhalten wird.
Gerade der schnelle Erfolg trägt dazu bei, dass sich die richtigen Trendsetter schon wieder absetzen, weil ihnen die Sache zu angepasst erscheint: «Das kann schnell wieder vorbei sein. Denken Sie nur an Second Life.» Von der Parallelwelt im Internet spricht heute kaum noch einer.
mit dpa