Die Londoner Zeitung "The Guardian" hat auf Druck des britischen Geheimdienstes geheime Dokumente des US-Informanten Edward Snowden vernichten müssen. Zwei Mitarbeiter des Dienstes GCHQ hätten im Gebäude der Zeitung die Zerstörung von Festplatten überwacht, schrieb Chefredakteur Alan Rusbridger am Dienstag in einem Kommentar. Dies sei einer der "bizarrsten Augenblicke" in der langen "Guardian"-Geschichte gewesen.
Die Zeitung wurde nach eigenen Angaben wegen der Snowden-Enthüllungen von der Londoner Regierung massiv unter Druck gesetzt. Das Blatt sei zur Zerstörung oder Herausgabe des Snowden-Materials aufgefordert worden, schrieb Rusbridger inmitten des Skandals um eine Polizei-Befragung des Lebenspartners eines "Guardian"-Journalisten. Die Regierung habe gedroht, juristisch gegen die Zeitung vorzugehen. Am Dienstag hieß es aus der Downing Street, man werde sich zu den Anschuldigungen nicht äußern.
Der Chefredakteur wurde nach eigenen Angaben zunächst vor etwas mehr als zwei Monaten von einem sehr hohen Beamten der Regierung von Premierminister David Cameron kontaktiert. Bei zwei darauffolgenden Treffen sei die Rückgabe oder Zerstörung allen Materials, an dem das Blatt arbeite, gefordert worden. Vor gut einem Monat habe er einen Anruf der Regierung erhalten, in dem es geheißen habe: "Ihr hattet Euren Spaß: Jetzt wollen wir das Zeug zurückhaben." Bei weiteren Treffen sei die Forderung dieselbe geblieben: zerstören oder zurückgeben.
Schockierender Eingriff in Pressfreiheit
Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" hat den Druck des britischen Geheimdienstes auf die Zeitung "The Guardian" als schockierenden Eingriff in die Pressefreiheit bezeichnet.
Dass ein Geheimdienst den Chefredakteur der renommiertesten Zeitung des Landes zwinge, zugespieltes Material zu vernichten, sei erschütternd, erklärte Vorstandsmitglied Michael Rediske am Dienstag in Berlin. Es sei aber unverständlich, warum der "Guardian"-Chefredakteur der Erpressung nachgegeben habe, ohne die Gerichte anzurufen und sofort an die Öffentlichkeit zu gehen.
Polizei rechtfertigt Vorgehen gegen David Miranda
Unterdessen rechtfertigte die Polizei ihr Vorgehen gegen den Lebenspartner von "Guardian"-Journalist Glenn Greenwald, der die Snowden-Informationen enthüllt hatte. Der 28 Jahre alte Brasilianer David Miranda war am Sonntag fast neun Stunden von Mitarbeitern des britischen Geheimdienstes am Flughafen London-Heathrow unter Verweis auf Anti-Terror-Gesetze festgehalten und befragt worden. Das Vorgehen sei "juristisch korrekt" sowie "notwendig und angemessen" gewesen, hieß es in einer Stellungnahme der Londoner Polizei. Anders als in Medien behauptet, sei ein Anwalt bei der Befragung dabei gewesen, und Miranda sei juristische Unterstützung angeboten worden.
Der vom Parlament eingesetzte unabhängige Beobachter der Anti-Terror-Gesetze, David Anderson, kündigte für Dienstag ein Treffen mit der Polizei an, um offene Fragen zu klären. Er hatte die Aktion als "extrem ungewöhnlich" bezeichnet.
Brasilien pocht auf eine Erklärung. Außenminister Antonio Patriota hatte angekündigt, er werde mit seinem britischen Kollegen William Hague sprechen. Die US-Regierung, die Snowden wegen seiner Enthüllungen von Spähprogrammen der amerikanischen und britischen Nachrichtendienste vor Gericht stellen möchte, wies jegliche Beteiligung an dem Vorfall in London von sich. Snowden hält sich derzeit in Russland auf, wo er vorübergehend Asyl bekommen hat.
Die US-Regierung, die Snowden wegen seiner Enthüllungen der Spähprogramme der amerikanischen und britischen Nachrichtendienste vor Gericht stellen möchte, wies jegliche Beteiligung an dem Vorfall in London von sich. "Die Vereinigten Staaten sind (...) nicht involviert", sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, am Montag in Washington.
Zeitweilige Festnahme ungerechtfertigt
Brasiliens Außenminister Patriota erklärte, die zeitweilige Festnahme Mirandas sei ungerechtfertigt gewesen. "Ich erwarte, dass es nicht wieder geschieht", sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur ABR. "Wir erleben weiterhin einige Exzesse und Irrwege in der Frage des Kampfes gegen den Terrorismus", fügte er hinzu. Dieser Kampf müsse aber auf den Grundsätzen des Multilateralismus, des internationalen Rechts und der Rationalität basieren.
Miranda hatte am Montag bei seiner Ankunft auf dem Flughafen von Río de Janeiro die brasilianische Regierung aufgefordert, gegen seine Festnahme auf dem Londoner Flughafen zu reagieren. "Ich erwarte, dass die brasilianische Regierung etwas unternimmt, denn die Leute wissen nicht, was wirklich geschieht", erklärte er laut einem Bericht der Zeitung "Folha de São Paulo".
Der 28-jährige Marketing-Student war am Sonntag in London von britischen Sicherheitsagenten fast neun Stunden verhört worden. Er durfte keinen Anwalt hinzuziehen. Die Briten beriefen sich dabei auf ein Anti-Terror-Gesetz, das eine Festnahme ohne richterliche Anordnung und ohne Recht auf juristischen Beistand ermöglicht.
"Ich wurde in einem Zimmer gehalten, in dem (Scotland-Yard-) Agenten ein- und ausgingen, um sich bei der Befragung abzuwechseln", sagte er. Sie hätten ihn über sein ganzes Leben ausgefragt und ihm Computer, Handy und den Fotoapparat weggenommen. Der Brasilianer ergänzte, er sei weder bedroht noch aggressiv behandelt worden.
In Río de Janeiro wurde Miranda von Greenwald auf dem Flughafen Tim Jobim (Galeão) empfangen. Er hatte in London nur eine Zwischenlandung auf dem Heimflug aus Berlin gemacht, wo er eine Journalistin der britischen Zeitung "The Guardian" getroffen hatte. Greenwald bezeichnete den Vorfall als "Einschüchterung der Presse". Er werde mit "noch aggressiveren" Berichten antworten.
dpa/cd/okr - Bild: Andrew Cowie (afp)