Für Millionen ist es jeden Abend um Punkt 20.00 Uhr Pflichtprogramm: Gonggg - «Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der "Tagesschau"». Am Silvesterabend ertönt diese Kombination für die Hauptausgabe der bekanntesten TV-Nachrichten in Deutschland zum 20.000. Mal.
Heimat des Fernsehklassikers ist der Norddeutsche Rundfunk (NDR). Dessen Intendant, Lutz Marmor, sagt zum Jubiläum: «Die "Tagesschau" ist die Mutter aller Nachrichtensendungen - ein Klassiker, der bis heute Maßstäbe setzt.»
In der Tat: Deutschland als Fernsehvolk wird von dieser Sendung geprägt. Als «beste Sendezeit» gilt die etwas schräge Uhrzeit 20.15 Uhr nach der Haupt-«Tagesschau». Für Generationen von Zuschauern ist die Sendung eine Instanz. Die Tradition, um 20 Uhr erst Nachrichten und dann Show oder Film zu beginnen, hat sich so fest in den Köpfen vieler Deutscher eingeprägt, dass die Zuschauer alle Versuche anderer Sender, dies zu durchbrechen, abstraften.
Treue Zuschauer
Zwar verfolgen wegen einer höheren Zahl von TV-Sendern längst nicht mehr so viele Zuschauer wie in den 60er oder 70er Jahren die ARD-Nachrichten, doch noch immer sehen viele Millionen Menschen jeden Abend zu. Selbst an Tagen, an denen kaum jemand die Glotze einschaltet - wie jüngst wieder an Heiligabend - kann die «Tagesschau» auf ihre treue Fan-Gemeinde zählen, und versammelt um die fünf Millionen Menschen vor dem Bildschirm - allein in der ARD, die Dritten Programme nicht mitgerechnet.
Früher schalteten das öffentlich-rechtliche Flaggschiff, das in Hamburg und nicht etwa regierungsnah in der Hauptstadt produziert wird, weit mehr als die Hälfte aller TV-Haushalte ein. Mancher hielt die Vorleser der «Tagesschau» für amtliche Regierungssprecher. Doch die Sendung und das Volk sind lockerer geworden, auch wenn das Studio noch immer recht altbacken gestaltet ist - im Vergleich etwa zum modernen ZDF-«heute»-Nachrichtenstudio oder den verspielten News-Bühnen, die sich US-Sender oder die deutschen Privatkanäle eingerichtet haben.
«Die "Tagesschau" ist keine Sendung, sondern pure Gewohnheit. Die kann man auch in Latein verlesen», lästerte einst der frühere RTL-Chef Helmut Thoma. Die Nachrichtensendung ist gerade für viele ältere Menschen ein liebgewonnenes Ritual im Wohnzimmer auf dem Sofa.
Premiere am 26.12.1952
Ihre Premiere erlebte die «Tagesschau» zu Weihnachten vor 58 Jahren - am 26. Dezember 1952. Zunächst wurde sie dreimal pro Woche gesendet und bestand aus dem Restmaterial der Kino-«Wochenschau»-Ausgaben. Gründervater Martin S. Svoboda und seine Mitarbeiter schnitten die Berichte in einem Keller unter der «Wochenschau»-Redaktion zusammen.
Gestartet wurde das Projekt vom Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR), aus dem später der NDR und der WDR (Westdeutscher Rundfunk) hervorgingen. 1954 stießen die weiteren ARD-Sender dazu. Anfangs zeigten die Beiträge spektakuläre Unfälle, Katastrophen und Kurioses aus aller Welt. Ab 1. Oktober 1956 kam die «Tagesschau» sechsmal in der Woche, ab 1961 auch sonntags.
Vieles aus der Anfangszeit ist weit entfernt von der heutigen Ausstattung des weltweit vernetzten 24-Stunden-Betriebs und Internet-Abrufs. So hatte die Sendung anfangs keinen sichtbaren Sprecher, Cay-Dietrich Voss präsentierte sie aus der Sprecherkabine.
Der 1995 gestorbene Hanns Joachim Friedrichs - einst «Tagesschau»-Korrespondent und später «Tagesthemen»-Moderator - schrieb in seinem Buch «Journalistenleben»: «In dem Moment, in dem das erste Filmbild auf dem Schirm erschien, klopfte der Redakteur dem ganz auf sein Blatt fixierten Voss auf die Schultern, und der begann zu lesen...»
Endlich ein Gesicht
Mit Karl-Heinz Köpcke (1922-1991) erhielt die Sendung am 2. März 1959 erstmals ein Gesicht. Der Mann, der bis 1987 Chefsprecher war, wurde zur Ikone der TV-Nachrichten - und fortan avancierten die Sprecher zu den prominenten Köpfen der Republik. Die erste «Tagesschau» in Farbe flimmerte am 29. März 1970 über den Bildschirm.
Von den Frisuren Dagmar Berghoffs, die 1976 als erste Frau die «Männerbastion» der «Tagesschau»-Sprecher knackte, bis hin zu den Hollywood-Plänen Susan Stahnkes oder den umstrittenen Thesen von Eva Herman - das Medieninteresse an den Gesichtern der Sendung war immer groß.
Die Stimmen und helmartigen Haare von vertrauenswürdigen Sprechern wie Werner Veigel, Wilhelm Wieben oder Joachim Brauner sind unvergessen, heutzutage gehören Jan Hofer oder Jens Riewa zu den bekanntesten. Zuweilen schaffen die «Tagesschau»-Sprecher den Sprung vom Nachrichtenstudio auf die Showbühne: Judith Rakers, die seit 2008 zur 20-Uhr-Sprecherriege gehört, präsentiert im Mai das Finale des Eurovision Song Contests in Düsseldorf - neben Stefan Raab und Anke Engelke.
Die «alte Tante» «Tagesschau» hat sich stets verändert - nie radikal, sondern immer vorsichtig. Design und Präsentation wurden dem Zeitgeschmack angepasst. Ende 2012 soll es nach NDR-Plänen sogar 3D-Elemente und einen Touchscreen für die Moderatoren geben.
Gregor Tholl und Dorit Koch (dpa) - Bild: epa