Besuch bei der Augsburger Puppenkiste. Die riesige Eingangshalle des historischen Gebäudes, eines ehemaligen Spitals aus der Renaissance-Zeit, ist voller junger Besucher. Eine Schulklasse.
Etwas abseits steht Klaus Marschall. Er leitet das Marionettentheater in der dritten Generation, hat es 1992 von seinen Eltern übernommen. Seine Mutter Hannelore war die Tochter des Gründers Walter Oehmichen.
"Als mein Großvater nach dem Krieg auf der Suche nach Räumlichkeiten war, fand er hier in diesem Heilig-Geist-Spital einen großen leer stehenden Raum und hat dann mit der Stadt verhandelt, diesen nutzen zu dürfen. Und Walter Oehmichen hat dann die Genehmigung bekommen, in diesem Saal spielen zu dürfen", erklärt Klaus Marschall.
Schon während des Krieges hatte Oehmichen seine Leidenschaft fürs Marionettenspiel entdeckt und 1940 als Soldat an der Westfront seine Kameraden mit kleinen Stücken unterhalten. Zurück in Deutschland begann er damit, diese Leidenschaft zu seinem Beruf machen. Weil er keine feste Spielstätte hatte, musste er improvisieren.
"1943 war Premiere. Und mit diesem Theater ist er zuhause aufgetreten. Das war ein Türrahmentheater. Das passte in einen Türrahmen. Und ein Tisch dahinter diente als Bühne und als Spielbrücke", so Marschall.
Um auch anderswo auftreten zu können, baute Oehmichen für die von ihm und seiner Frau gefertigten Figuren einen Holzschrein und zog mit seinem Theater durch das zerbombte Augsburg. Die "Puppenkiste" wurde zum Markenzeichen, auch für die feste Spielstätte in der Spitalgasse. Dort fand am 26. Februar 1948 mit dem "Gestiefelten Kater" die Premiere statt.
"Der Augsburger Kasperl hatte das Auditorium begrüßt. Sie ist somit die erste und immer noch unsere wichtigste Figur. Der Zuschauerraum war voll. Man kann sich das nicht vorstellen wie ein echtes Theater, sondern das war ein Raum mit zusammengesammelten Biergartenstühlen, Bänken, Tischen, alles was irgendwie stehen konnte", erklärt Marschall.
"Gerade in der Zeit 1948, nach dem Krieg, wo es kaum etwas gab, war es schon eine Leistung, ein Puppentheater auf die Beine zu stellen. Die Bühne war vom Zuschauerraum abgetrennt mit alten Reichsfahnen, aus denen man sorgfältig das Hakenkreuz herausgetrennt hatte. Und hinter der Bühne stand Oehmichen mit seiner Truppe und versuchte, das Möglichste möglich zu machen."
Walter Oehmichen brachte Märchen für Kinder und Schauspielstücke für Erwachsene auf die Bühne: "Faust" oder "Die Dreigroschenoper". Seit den Anfangstagen gibt es jedes Jahr auch politisches Kabarett. Damals wie heute ein Publikumsmagnet.
Hinter der Bühne hängen die Puppen an ihren Fäden bereit für die nächste Vorstellung. "Wir haben dieses Jahr das Thema Märchen. Also tritt hier Schulz als Rotkäppchen auf. Die Merkel ist die Oma. Seehofer haben wir dabei. Das 'Schneewagenknechtchen'. Also aus allen möglichen Märchen haben wir die Figuren zusammengesammelt. Hier der Jäger Özdemir, die dann gemeinsam den neuen machthungrigen Wolf aus Bayern jagen werden."
Mit seinem abwechslungsreichen und ambitionierten Programm entwickelte sich das kleine Augsburger Marionettentheater mit seinen 220 Plätzen zu einem Erfolgsprojekt. Über 400 Vorstellungen gab es im letzten Jahr. Die meisten waren ausverkauft.
So richtig populär wurden die Holzpuppen, als sie auch fürs Fernsehen entdeckt wurden. "Das war am 21. Januar 1953. Vier Wochen nach der ersten Tagesschau kam die erste Kindersendung aus der Puppenkiste. Das war damals 'Peter und der Wolf'."
Ein paar Jahre später entstand die Idee, die Marionetten in Fortsetzungsgeschichten auf den Bildschirm zu bringen. Aufwändig produzierte Mehrteiler entstanden. Die "Mumins" machten 1959 den Anfang, dann wurden "Kater Mikesch", "Der kleine dicke Ritter", das "Urmel", "Der Löwe" und natürlich "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" zu Fernsehstars.
1997 schafften die Augsburger Marionetten sogar den Sprung auf die große Leinwand. "Die Story von Monty Spinnerratz", zum Teil in den USA gedreht, zog fast eine Million Zuschauer in die Kinos. Darüber hinaus geht das Ensemble auf Tournee durchs In- und Ausland.
In einem Museum, direkt über dem Theater, kann man in die Vergangenheit der Augsburger Puppenkiste eintauchen. "Es kommen viele zu uns die sagen, wir sind mit 'Urmel' groß geworden. Wir sind mit 'Jim Knopf' groß geworden, wir sind mit 'Kater Mikesch' groß geworden. Die meisten verbinden auch immer noch ein Lied damit. Auch nach vierzig Jahren, nach fünfzig Jahren. Also das gibt uns auch Mut für die Zukunft."
Alfried Schmitz