Man muss sich mal vorstellen, jemand würde ein solches Drehbuch einreichen: Eine Frau aus einer Familie von Militärs und Politikern heiratet den Staatschef, obwohl er ihr Onkel ist. Als er sich nach einiger Zeit scheiden lassen will, vergiftet sie ihn. Ihr Sohn wird der neue Mann an der Spitze, dankt es ihr aber, indem er sie ebenfalls umbringt.
Komplett abgedreht? Und doch ist es genauso passiert. Es ist die Biografie der Römerin Agrippina. Sie war die Mutter von Kaiser Nero. Und die Mutter von Köln. Pünktlich zu ihrem 2000. Geburtstag in diesem Jahr beleuchten eine Ausstellung im Römisch-Germanischen Museum der Stadt und ein neues Buch die umstrittene Figur.
"Ich habe keine Biografie über sie geschrieben, sondern ich habe mich mit ihrem Nachleben, ihrem Mythos beschäftigt", sagt der Autor Mario Kramp. "Das Fazit ist, dass man sich in Europa spätestens seit dem Mittelalter einig war, dass Agrippina ein Monstrum war. Nur in Köln war das anders. Denn dort gilt sie als Stadtgründerin - und durfte deshalb kein Monstrum sein."
Ihr Leben im Schnelldurchgang
Agrippina kommt im Jahr 15 nach Christus zur Welt, in Köln, das allerdings noch nicht so heißt. Es ist ein römischer Militärstützpunkt im Barbarenland. Schon nach wenigen Monaten wird ihr Vater, ein Militär, nach Syrien versetzt. Agrippina sieht ihren Geburtsort nie wieder. Sie wächst in Rom auf. Eine Schönheit, ein Machtmensch. Es gelingt ihr, den Kaiser Claudius zu becircen, obwohl er ihr Onkel ist. Die beiden heiraten. Er ist 58, sie 33. Ihren Sohn aus erster Ehe adoptiert er. Der Knabe heißt Nero.
Agrippina will jedoch nicht bloß "die Frau an der Seite von" sein, sie will als Kaiserin mitregieren. Ein ungeheuerlicher Anspruch in Rom, wo Frauen nicht viel zu sagen haben. Der Geschichtsschreiber Tacitus: "Alles gehorchte einer Frau. Straff wie ein Mann zog sie die Zügel an." Nur einen Schönheitsfehler gibt es jetzt noch: den Ort ihrer Herkunft, diesen Außenposten am nördlichen Rand des Imperiums. Sie muss das korrigieren.
Und so erfindet sie den klangvollen Namen Colonia Claudia Ara Agrippinensis, abgekürzt CCAA. Was soviel bedeutet wie: Stadt römischen Rechts am Ort eines dem Kaiser geweihten Altars, unter Claudius gegründet auf Initiative Agrippinas. Mit der Zeit wird dieser Bandwurmname zu "Colonia" abgekürzt. Und irgendwann steht da nur noch "Köln".
Wie die Mutter, so der Sohn
Mit Agrippina selbst nimmt es kein gutes Ende. Als Claudius mit dem Gedanken spielt, sich von ihr scheiden zu lassen, setzt sie ihm flugs ein vergiftetes Pilzgericht vor und schiebt ihren Sohn Nero auf den Thron. Der aber beweist nun, dass er sich von seiner Mutter einiges abgeschaut hat: Er verbannt sie aus dem öffentlichen Leben und lässt sie schließlich ermorden.
Die Nachricht vom Tod Agrippinas erreicht Köln im Frühjahr 59. Nur neun Jahre nach der Erhebung zur Stadt wird die große Förderin vom Sockel gestoßen. Keine einzige Statue bleibt verschont: Erst jetzt ist für die Sonderausstellung im Römisch-Germanischen Museum erstmals wieder eine überlebensgroße Statue aus den Kapitolinischen Museen in Rom an den Rhein gekommen. "Eine große Ehre für uns", sagt Museumsdirektor Marcus Trier. Die Ausstellung zeigt unter anderem, dass sich die römischen Kölnerinnen frisurtechnisch an Agrippinas Ringellöckchen orientierten: Sie schauten sich dafür einfach ihr Bildnis auf Geldmünzen an.
In Köln ist Agrippina trotz ihrer Blutrünstigkeit immer populär geblieben. Eine Versicherung bekam ihren Namen, eine Zigarrenmarke - und im Karneval lebt sie fort in der Jungfrau des Dreigestirns. "Es ist ein zutiefst Kölner Phänomen", schmunzelt Buchautor Kramp. "Eine weibliche Urfigur für eine 2000 Jahre alte deutsche Metropole, die zugleich Mutter, Jungfrau und Monstrum ist - das muss uns erstmal jemand nachmachen!"
Service
Die Ausstellung "Agrippina - Kaiserin aus Köln" im Römisch-Germanischen Museum läuft vom 26. November 2015 bis zum 29. März 2016. Geöffnet dienstags bis sonntags 10 bis 17 Uhr. Eintritt 9 Euro, ermäßigt 5 Euro.
Das Buch von Mario Kramp trägt den Titel "Köln und seine Agrippina - Vom Monstrum zur Mutter" und erscheint im Emons-Verlag, 240 Seiten, 18,95 Euro.
Von Christoph Driessen, dpa