Während die Klassik Stiftung Weimar in einer großen Werkschau im Neuen Museum den Beitrag Van de Veldes zur europäischen Moderne feiert, wird die Bauhaus-Universität Weimar eine Gesamtschau seines architektonischen Schaffens widmen. Die Weimarer Kunstschulbauten werden dabei im Zentrum stehen. Die Klassik Stiftung Weimar kooperiert dabei mit den Kgl. Museen für Kunst und Geschichte in Brüssel. Dort wird die Schau vom 13. September bis zum 12. Januar sein.
Der in Antwerpen vor 150 Jahren geborene "Allrounder" hat sich selbst nie als Jugendstilkünstler gesehen. Seine Intention war das Gesamtkunstwerk, in dem jedes künstlerische Detail mit seinem Umfeld harmonisiert. Bereits sein erstes, 1895 fertiggestelltes Wohnhaus Bloemenwerf bei Brüssel polarisierte. Staunend, begeistert oder auch entsetzt begutachteten seine Zeitgenossen Haus und Innenausstattung: Bis zu Möbeln, Tapeten, Geschirr und den Kleidern seiner Frau Maria hatte Van de Velde alles in Form und Farben aufeinander abgestimmt. Es folgten Aufträge in Paris und Berlin, wo sein Stern nach der ersten Euphorie bei Künstlern, Bürgerlichen und Industriellen aber zunehmend sank. Die kleine Residenzstadt Weimar sollte eine erneute Wende bringen: Hier hatte er seine produktivsten Jahre. Mit dem 1902 gegründeten Kunstgewerblichen Seminar gelang es dem Belgier, Kunst, Industrie und Handwerk in Praxis und Theorie zu vereinen. Zahlreiche Häuser, von seinem eigenen Wohnhaus "Hohe Pappeln" und dem Nietzsche-Archiv bis zum heutigen Hauptgebäude der Bauhaus-Universität sind Stein gewordene Zeugnisse seines Ideenreichtums. In Gera kündet das Haus Schulenburg und in Chemnitz das Wohnhaus Esche von seinem Wirken.
In seinen Memoiren, geschrieben in seinen letzten Lebensjahren in der Schweiz, blickt Van de Velde auch verbittert auf die Weimarer Kriegszeit zurück. Van de Velde hatte Deutschland 1917 nahezu mittellos über den Bodensee in Richtung Schweiz verlassen. Später entwarf er ein Privatmuseum in den Niederlanden. 1925 erhielt er eine Professor für Architektur an der Universität Gent. 1926 wurde er Direktor des neuen Instituts Supérieur des Arts Décoratifs in Brüssel. Zu en bedeutendsten Gebäuden dieser Zeit gehören die Universitätsbibliothek in Gent, der großartige Ausstellungspavillon auf der Pariser Weltausstellung 1937, der Belgien-Pavillon auf der Weltausstellung in den USA 1939. Weiterhin gestaltete er den Ozeandampfer "Prince Baudouin" nebst Inneneinrichtung und die Abteile der belgischen Staatsbahn.
"Sein besonderer Rang liegt nicht nur in einem facettenreichen Oeuvre begründet, sondern vor allem in seiner außergewöhnlich fesselnden Persönlichkeit und den weitgespannten internationalen Kontakten, die eine grenzüberschreitende Wirkung haben"' bemerkte der frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher 1992 anlässlich Eröffnung einer großenVan de Velde-Schau im westfälischen Hagen, die damals nach Weimar, Berlin, Gent, Zürich und Nürnberg weiter wanderte.
"Van de Velde wurde zu einem Wegbereiter der Moderne und des Weimarer Bauhauses", würdigte Thüringens Kulturminister Christoph Matschie den Jubilar in der vergangenen Woche bei der Eröffnung . Die neben dem Botschafter als offizielle Repräsentanten angereisten Ministerpräsident Lambertz und Minister Paasch hörten interessiert zu. Hat doch die DG selbst etwas zum Erhalt des Ven de Velde-Oeuvres durch die Renovierung des "Hôtel de Brouckère" in Brüssel geleistet. Die denkmalgeschützten Brüsseler DG-Vertretung ist insofern mit dem Namen Van de Veldes verbunden, weil er das Grundkonzept und das Interieur - insbesondere die Fensterform und das beeindruckende Treppenhaus verantwortete. Die Fassade gilt als Werk des ebenfalls berühmt gewordenen Architekten Octave Van Rijsselberge, einem Bruder des bekannten Malers Théo. Mit seiner Architektur und Geschichte gehört das DG-Haus in der Jordaensstraat jedenfalls zu den wichtigen Denkmälern der europäischen Hauptstadt Brüssel.
Als Belgier war Van de Velde während des Ersten Weltkrieges für die Deutschen ein "feindlicher Ausländer", für die Belgier, die von der kaiserlichen deutschen Armee überrannt wurden, hatte er den Ruf eines Kollaborateurs. 1917 verlässt Van de Velde - wie gesagt - Deutschland, nicht ohne zuvor den Architekten Walter Gropius als seinen Nachfolger in Weimar empfohlen zu haben. 1919 gründete Gropius in en Schulgebäuden Van de Veldes das Staatliche Bauhaus. Es sollte die einflussreichste Architektur- und Designschule des 20. Jahrhunderts weltweit werden. Historisch betrachtet schöpften auch die Bewegung des sogenannten "Neuen Bauens" der 1910er bis 1930er Jahre aus den Ansprüchen des Bauhauses und der Ideenwelt Van de Veldes. Das Neue Bauen entwickelte sich im Deutschen Werkbund und bildete in etwa die Grundlage der Bauhaus-Schule. Hauptvertreter des Neuen Bauens waren unter anderem Walter Gropius, Mies van der Rohe, Gerrit Rietveld, Wilhelm Riphahn, Hans Scharoun oder Bruno Taut, um nur einige zu nennen. Diese Architekten setzten konsequent auf die neuen Materialien Glas, Stahl, Beton und Backstein. Damit ließen sich einfache Formen leichter realisieren: Der konsequente Einsatz einfacher kubischer Formen, ineinandergeschobener Raumvolumen und kühner Auskragungen lassen sich sogar bei einem in letzter Zeit in Eupen vieldiskutierten Bau aus den 1930er Jahren beobachten, dem Wetzlarbad in der Unterstadt.
dpa/mitt - Bilder: belga